Das Arbeitsballett

Museums-Sache – seit 20 Jahren (2)

Bitterstoff, Blog | Donnerstag 03.07.2025

Wer mit alten Hopfenbäuerinnen oder Hopfenbauern redet, dem fällt vielleicht auf, dass es in den Erzählungen ein wenig anders zugeht als üblicherweise. Von der sprichwörtlichen „guten alten Zeit“ hört man hier kaum etwas, dass früher alles besser war, die Zeiten so schön, das Leben viel lebenswerter etc. etc. Jedenfalls wenn es um die diversen Herbst- und Frühjahrsarbeiten geht, die der Hopfen einem abverlangte. Früher alles ausschließlich per Hand. Aufdecken, Schneiden, Draht aufhängen, Andrehen, Ausputzen, Pflügen, Eggen, Grubbern/Kultivatern, Düngen, nur um die wichtigsten zu nennen.

Zum Aufdecken, dem händischen Wegziehen der Erde von den Stöcken mit der Reithaue, haben wir den kaum glaubbaren Wert von 70 Tonnen bewegtes Erdreich ausgerechnet – am Tag wohlgemerkt! Das Andrehen der Reben an den Draht nannte eine Hopfenbäuerin einmal sehr bildhaft „den tausendfachen Kniefall vom dem Hopfen“. Wie in der Kirche, Demut pur, mit ein bisserl Schmerz verbunden. Das Gebuckel beim Schneiden der Stöcke, Draht aufhängen mit einer sieben Meter langen Stange, den Kopf stundenlang im Nacken, den Blick in die Sonne gerichtet, Pflügen und Eggen mit zappeligen Pferden oder sturen Ochsen, die mit ihren Hörnern die Reben runterreißen, Draht andrehen in der winterlichen Kälte mit klammen Fingern, Viehdünger schleppen mit der Misttrage, Ausbreiten mit der Mistgabel – alles nicht unbedingt zum Schwärmen geeignet.

Bei der Planung unserer Museumsausstellung fiel uns bald auf, dass die jeweiligen Geräte für diese Arbeiten – Reithaue, Schnitzer, Aufhängestange, Pflug, Egge – viel zu nüchtern daherkamen, viel zu sachlich für die Arbeit, die mit ihnen einst verrichtet werden musste. Ein rostiges Messer mit Holzgriff, eine Haue mit langem Stiel, eine Bambusstange sagen wenig darüber aus, wie der Körper einst beim Umgang mit ihnen strapaziert wurde. Also fiel die Entscheidung: an dieser Stelle sollte es Figuren geben. Manche Museen statten ihre ganze Dauerausstellung figürlich aus. So weit wollten wir es nicht treiben. Aber hier hatten Figurinen, wie man sie fachlich korrekt nennt, ihre eindeutige Berechtigung.

Jede/r Museumsgestalter/in steht dann allerdings vor dem gleichen Problem: wie realistisch gestaltet man die Figuren und wie stark wird abstrahiert. Das Hauptproblem ist dabei immer der Gesichtsausdruck. Emotional und ausdrucksstark wie auf einem Rennaissance-Gemälde? Schießt immer übers Ziel hinaus und trifft nie den Kern der Sache. Oder nüchtern und stilisiert wie eine Schaufensterpuppe? Wer im Museum gar kein Geld hat, besorgt ein paar ausrangierte. Und produziert hauptsächlich Gelächter.

Die Lösung lag dazwischen. Die Münchner Künstlerin Afra Dopfer und der Südtiroler Bildhauer Michael Schrattenthaler hatten die zündende Idee. Afra Dopfer kannten wir schon, sie gestaltete einst das berühmte „Handmännchen“ für das Wolnzacher Museum der Hand. Diesmal wollten die beiden jede Figur lebensgroß abformen von realen Menschen, „mittels Gipsbinden in der entsprechenden  Haltung der Tätigkeit“, wie es im damaligen Vertrag mit den Künstlern hieß. „Im Inneren der so entstandenen Hohlform aus Gips wird zur Stabilisierung ein Gerüst aus Holz eingebracht sowie eine Befestigungsmöglichkeit am Boden bzw. der Unterlage. Die Figur wird mit Originalkleidern (nach Vorlage) angezogen, inklusive Hut etc. Die Kleidung wird ihrerseits versteift und in natürlich wirkende Falten gelegt. Die gesamte Figur wird noch einmal mit Gips überarbeitet, um eine einheitliche Gesamtoberfläche zu erhalten, und weiß gestrichen. Da es sich um die Abformung einer realen Person handelt, sind Proportionen und Haltung der Figuren absolut „naturalistisch“. Dieser Naturalismus wird wieder etwas gebrochen, indem die Details etwas zurückgenommen werden durch die die Formen leicht vereinfachende Oberfläche der Gipsbinden.“ So das Leistungsverzeichnis. Inwieweit die tapferen Models für die Gipsfiguren am (bescheidenen) Künstlerhonorar beteiligt waren, ist nicht überliefert. Im Nachhinein kann man diesen armen Menschen nur höchsten Respekt zollen. Sie haben für unser Museum gelitten. Ernsthaft. Wo die richtigen Arbeiter einst wenigstens aus der Kniebeuge aufstehen, den Kopf wieder geradeaus schauen lassen oder den krummen Rücken geraderichten konnten, mussten die Arbeitshaltungsdarsteller ausharren. Bewegungslos, halbe Stunde Minimum, am Ende so richtig mit Strohhalm in der Nase. Am Ende dürfte allen das Gestell mindestens so weh getan haben, wie den nachgebauten Hopfenarbeiter/innen. Leider gibt es keine Aufnahmen mehr vom einstigen Schaffensprozess.

Als die Figuren endlich ausdrucksstark in ihren eingefrorenen Haltungen im Museum ruhten, stand der passende Name schnell fest: Arbeitsballett. Anstrengend, mühevoll, das Resultat endloser, gleichförmiger Übung. Und doch ausdrucksstark, kraftvoll, dynamisch, voller Stolz auf das eigene Können und die eigene Leistung. Jede einzelne Figurenposition steht mit den anderen in Beziehung, in Kontakt. Wie in einer einstudierten Choreographie. Wir sind auch 20 Jahre später immer noch begeistert.

Freudig stimmt uns auch der Zustand der Figuren nach ihrem Besichtigtwerden durch Tausende von Besuchern über die Jahre. Ganz frei, ohne einen Schutz durch Glas oder ausreichenden Abstand stehen sie da, nur auf einem niedrigen Museumspodest, auch wenn sie aus brüchigem Gips bestehen und die weiße Farbe nicht gerade günstig für schmutzige Hände ist. Eine bewusste Entscheidung. Vitrinen schaffen Distanz, Kühle, Strenge, wir wollten aber die alte Zeit so gut es geht lebendig werden lassen. Bisher ging alles gut, die Figuren werden sie so gut wie nie angetatscht, dienen kaum als Hintergrunddeko für mehr oder weniger spaßige Selfies, müssen keine neugierigen Brüchigkeitstests aushalten. Vielleicht ringen sie ja jedem Betrachter einfach den nötigen Respekt ab, den sie verdienen. Für die Figuren als Kunstwerke. Und für die Leute, die einst das Arbeitsballett im Hopfenalltag ausführen mussten.

 

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