Hopfenfahrer aus Isernhagen

Von Christoph Pinzl

Schon die Aufteilung Isernhagens ist ein bisserl speziell. Eigentlich gibt es „den“ Ort Isernhagen gar nicht. Die Gemeinde mit diesem Namen besteht aus sieben Ortschaften, die alle ein gutes Stück auseinanderliegen. Deren Ortsschilder tragen eigenwillige Namen wie Isernhagen KB, Isernhagen NB, FB oder HB. Die Abkürzungen stehen für Kircher, Niedernhägener, Farster und Hohenhorster Bauernschaft. Was wiederum darauf hinweist, dass es sich seit langem um Ansammlungen von recht verstreut liegenden Bauernhöfen handelt.

Was die Bauernschaften und die übrigen Isernhagener Dörfer lange Zeit vereinte, war der Hopfen. Weniger der Anbau. Der war hier im Norden von Hannover nie besonders heimisch. Aber der Handel mit Hopfen. Und die Lagerung von Hopfen. Und der Transport. Alles zusammen. Heute würde man so etwas Hopfen-Logistik nennen.

Postkarte aus Isernhagen, um 1950.

Es lässt sich nicht mehr herausfinden, was zuerst da war: Transportieren, Lagern oder Verkaufen. Der Name, den die Isernhagener Hopfenlogistiker führten, lässt vermuten, dass zuerst die Mobilität ins Spiel kam: Hopfenfahrer. Ihr Weg führte sie nicht selten hunderte Kilometer weit weg von zuhaus, meistens Richtung Osten und Nordosten, überall dorthin, wo guter Hopfen wuchs. Ins Braunschweigische Land, wo der Hopfen eine regelrechte Anbau-Hysterie ausgelöst hatte, ins Wendland rund um Lüchow und Dannenberg, in die Altmark rund um Gardelegen und sogar bis in die sächsischen Hopfengegenden. Überall dort kauften die Isernhagener den Hopfen auf. Anschließend transportierten sie ihn zuerst einmal in die Heimat, nach Isernhagen und lagerten ihn dort eine gewisse Zeit ein. Erst zum gegebenen Zeitpunkt fuhren sie ihn dann dorthin, wo man gute Preise bezahlte. Bisweilen wieder weite Strecken, wenn nötig auch sehr weite und logischerweise eher in die andere Richtung, nach Bremen, Hamburg, Holstein und sogar ins ferne Dänemark bis nach Kopenhagen. In Flensburg und im dänischen Randers hatten sie deshalb auch eigene Stapelplätze für ihre Ware gepachtet.

Hopfenspeicher in Isernhagen, Am Ortfelde, der lange als Privatwohnung genutzt wurde, Aufnahme 2023.

Dass wir heute überhaupt noch Genaueres über sie wissen, haben wir dem früheren Isernhagener Lehrer Kurt Griemsmann zu verdanken. Der kannte die Nachfahren der letzten Hopfenfahrer noch persönlich und ließ sich von Ihnen alte Dokumente zeigen wie Abrechnungs- oder Tagebücher. Vermutlich auch noch manches mehr, von dem aber heute aber leider nichts mehr zu finden ist. Griemsmann veröffentlichte nämlich Mitte der 1950er Jahre zuerst einen Aufsatz und 1973 in seiner Heimatchronik zu Isernhagen dann noch einmal ein längeres Kapitel zur Geschichte der Hopfenfahrer. Dort ließen sich zahlreiche Details nachlesen, deren Quellenherkunft Griemsmann jedoch einfach als „privat“ angab. Die eine oder andere Quelle lässt sich heute noch in Archiven aufspüren, aber bei vielem aus der Feder des Heimatforschers muss man ihm einfach nur vertrauen.

Wann genau die Isernhagener mit dem Hopfengeschäft begannen, dazu weiß auch er keine Antwort. Der älteste Beleg stammt von 1447. Um 1700 waren um die 50 Hofstellen mit dem Hopfenfahren beschäftigt, wohlgemerkt in einem Ort, der nur aus ein paar Bauernschaften bestand.

Hopfenspeicher in Isernhagen, erbaut 1586, Aufnahme um 1930. Das Gebäude existiert heute nicht mehr.

Nun wären die Aktivitäten der Isernhagener Hopfenfahrer schon interessant genug gewesen. Was sie für den geneigten Hopfenhistoriker heute so besonders macht, ist die Tatsache, dass sie markante Spuren in der Landschaft hinterlassen haben, die heute noch zu sehen sind. Teilweise direkt neben der Hauptstraße. Dabei handelt es sich um sogenannte Hopfenspeicher, im Fachwerkstil erbaute Gebäude, von denen die ältesten auf die Zeit um 1550 zurückgehen. Auch wenn keiner der Speicher erwartungsgemäß mehr im Originalzustand dasteht, hat sich wenigstens das Äußere oft noch recht authentisch erhalten. Jedenfalls bis vor ein paar Jahren. Der bekannteste Vertreter beherbergte lange Zeit eine Lokalität, die passenderweise den Namen „Hopfenspeicher“ trug. Mittlerweile gibt es das Gasthaus leider nicht mehr und die alte Fassade musste einen etwas unpassenden neuen Anstrich über sich ergehen lassen. Aber immerhin. Zwei andere Hopfenspeicher stehen etwas versteckt auf Privatgrund und werden als Wohnraum genutzt. Und einer ist nur deswegen noch am Leben, weil eine heimatverbundene Familie aus Isernhagen viel Geld in die Hand nahm und den vom Abbruch bedrohten Speicher kurzerhand originalgetreu in den eigenen Garten verfrachten ließ. Wie im Freilichtmuseum. „Translozieren“ im Fachjargon genannt. Weil die örtliche Denkmalpflege auf so viel Heimatliebe aber nicht einfach nur begeistert reagierte, sondern glaubte, der Familie mit diversen Auflagen unter die Arme greifen zu müssen, steht der Speicher nun einfach leer im Garten herum und kann nicht als Wohnraum genutzt werden. Aber das ist eine andere Geschichte.

Hopfenspeicher „Eilers-Bätke“, erbaut 1563, links 1997 am ehemaligen Standort, rechts neu aufgebaut in einem Privatgrundstück 2023.

Was nun eigentlich genau in diesen Speichern passiert ist, lässt sich heute trotz aller erhaltenen Gebäude nicht mehr exakt rekonstruieren. Man hat wohl Hopfen eingelagert, so viel steht fest. Aber wie? Und wie lange? Hopfen ist bekanntlich ein recht empfindliches Pflänzlein, monatelanges Lagern in Zeiten, als es weder Pellets noch Extrakt gab, steigerte nicht unbedingt seinen Wert. Weshalb dann das Ganze? Weil Hopfenhändler halt schon immer auch Spekulanten waren, die wie an der Börse auf die Hopfenkonjunktur achteten, Angebot und Nachfrage genau beäugten und erst dann zuschlugen, wenn die Zeit reif war? Oder um einfach den Hopfenmarkt besser kontrollieren, Kunden zeitgenau beliefern, Einkauf und Verkauf besser voneinander trennen zu können? Mag sein. Aber warum die relativ hohe, immer zweistöckige Bauweise der Speicher? Schwere Hopfensäcke in den ersten Stock zu befördern war mühsam. Gegen Feuchtigkeit hätte auch ein leicht erhöhter Bretterboden im Erdgeschoss geholfen, wo wiederum die wertvolle Hopfenware nicht so stark der Hitze unterm Dach ausgesetzt gewesen wäre. Und worin unterschied sich ein Hopfenspeicher von einem, in dem Getreide gelagert wurde? Gab es überhaupt einen Unterschied oder war ein Hopfenspeicher einfach ein Speichergebäude, in dem Hopfen lagerte? Ohne große bauliche Unterschiede?

Hopfenspeicher von innen, Aufnahme von 2023.

Wohnen im Hopfenspeicher, 1997. Die Wohnung existiert heute nicht mehr.

Das alles wissen wir nicht. Und werden es wohl auch nicht mehr erfahren. Mit ziemlicher Sicherheit lässt sich sagen, dass das Hopfengeschäft lukrativ war und einigen Wohlstand nach Isernhagen brachte. Um 1740 fiel das Steueraufkommen eines Hopfenfahrers doppelt so hoch aus wie das der besten Handwerksbetriebe vor Ort. Überall wusste man märchenhafte Geschichten zu erzählen wie die von den Erben eines Isernhagener Hopfenfahrers, die sich nach seinem Tod erstmal drei Tage lang einschlossen, um in Ruhe das viele hinterlassene Geld zählen zu können. Noch heute fallen die zahlreichen prachtvollen Hofgebäude auf, die sich mit Jahreszahlen seit dem 17. Jahrhundert schmücken. Isernhagen wirkt stellenweise tatsächlich wie ein bewohntes Freilichtmuseum. Griemsmann ging so weit, den ganzen Häuserreichtum Isernhagens auf das einstige Hopfengeschäft zurückführen zu wollen. Eine reizvolle Argumentation, die sich allerdings nicht belegen lässt.

Altes Bauernhaus in der Isernhagener Dorfstraße.

Gute Geschäfte machten die Isernhagener aber auf alle Fälle. Was auch gewisse Begehrlichkeiten wecken konnte. Wie häufig bei fahrenden Hopfenhändlern, die auf der Rückreise zwangsläufig einiges an Barschaft mit sich führten. Die Chronik enthält viele Geschichten über brenzlige Situationen mit Wegelagerern, in denen entweder nur der treue Schäferhund, der Zufall oder das pure Glück die Rettung brachten. Nicht zuletzt auch, um solchen Gefahren vorzubeugen, verlegten sich viele Hopfenfahrer darauf, das eingenommene Hopfengeld in der Fremde gleich wieder zu reinvestieren, zum Beispiel in den Einkauf von Pferden oder Wolle, die man zurück nach Isernhagen brachte, um sie dann zuhause erneut gewinnbringend an den Kunden zu bringen. „Hinfracht und Herfracht –  das bringt Geld“ lautete der markante Slogan.

Jahrhundertelang scheinen die Hopfenfahrer gut mit ihrem Geschäftsmodell gelebt zu haben. Doch das Zeitalter der Industrialisierung im 19. Jahrhundert brachte dann das Ende. Die Zentren des deutschen Hopfenbaus hatten sich mittlerweile ins ferne Bayern, nach Spalt, Hersbruck und in die Hallertau verlagert. Die Hotspots des Hopfenhandels hießen nun Nürnberg, Bamberg und Fürth, wo man das Hopfengeschäft in einer ganz anderen Größenordnung aufzog, als es die Isernhagener je vermocht hätten. Und das Transportmittel der Zukunft hieß Eisenbahn, deutlich schneller, sicherer und leistungsfähiger als die Pferdefuhrwerke der Hopfenfahrer.

Hopfenspeicher in Isernhagen, Asphalweg, erbaut 1. Hälfte 17. Jh, Aufnahme 2023.

Die letzten ihrer Zunft hingen das Hopfenfahren um 1850 an den Nagel. Einer ihrer Nachkommen, Wilhelm Dusche, dessen Familie seit Generationen den Hopfenhandel betrieben hatte, schaffte es später sogar in den Deutschen Reichstag. In seiner Familie verwahrte man auch die letzten Spuren zur langen Geschichte der Isernhagener Hopfenfahrer, ohne die wir heute so gut wie nichts mehr von ihnen wüssten.

Hopfenspeicher in Isernhagen, erbaut 1709, links 1997 noch als gleichnamiges Restaurant, rechts im heutigen Zustand.

150 Jahre Hopfenpflanzerverband

Von Christoph Pinzl

Am 21. Februar 1874 war es soweit. In Nürnberg traf sich ein illustre Herrenrunde und gründete den „Deutschen Hopfenbau-Verein“. Der Gründungsort ließ sich noch rechtfertigen. In Nürnberg wuchs zwar kein Hopfen. Aber in der Umgebung. Dreiviertel von Mittelfranken war zu dieser Zeit mit Hopfen bepflanzt. Um Spalt, Hersbruck und Neustadt a.d. Aisch lagen die wichtigsten deutschen Hopfenregionen. Spätestens beim Blick auf die Mitgliederliste durfte allerdings bezweifelt werden, dass es hier wirklich um eine Interessenvertretung aller deutscher Hopfenbauern ging. Großgrundbesitzer, Verwaltungsbeamte, Landwirtschaftslehrer, Zeitungsverleger, Hopfenhändler, die ließen sich zahlreich dort finden, aber normale Landwirte? Aus der Hallertau so gut wie niemand. Woran lag das?

Satzungen des Deutschen Hopfenbau-Vereins, 1874

Seit Mitte des 19. Jahrhunderts hatte der Hopfenbau in Deutschland eine steile Karriere hingelegt. Die Produktion hatte sich vervielfacht. In manchen Gegenden wuchs Hopfen soweit das Auge reichte. Es gab Orte, in denen jeder, wirklich jeder Einwohner Hopfen anbaute. Überall hatten sich auch bereits lokale Hopfenbauvereine gebildet. Aber eine überregionale Interessenvertretung fehlte. Die Landwirte, die Malzhersteller, die Brauer, die Brauereibelegschaft, alle hatten so etwas bereits. Aber nicht die Hopfenwelt. Und nicht ganz zufällig. Denn Zweifler gab es zuhauf. Für sie war so ein Hopfenverein nämlich nichts anderes als eine Art trojanisches Pferd der mächtigen Hopfenhändlerschaft – und der Regierung. Eine der wichtigsten Aufgaben der Hopfenvereine sollte es nämlich sein, den Markt mit Informationen zu versorgen, statistischen Informationen. Wo wuchs wie viel, wie viel wurde geerntet, wie viele Pflanzer waren aktiv, solche Dinge. Im Hopfengeschäft, wo das freie Spiel der Kräfte alles war, sich alles nur nach Angebot und Nachfrage richtete, ganz entscheidende Hebel, um beim Hopfen-Roulette zur richtigen Zeit das richtige unternehmen zu können. Genau darauf hatten viele Pflanzer aber keine Lust. Sie ließen sich ungern in die Karten schauen. Ganz ungern.

Deshalb interessierte es sie auch wenig, was dort in der Frankenmetropole ein paar wichtige Herren beschlossen und gegründet hatten. Mit den dortigen Herren Direktoren, Amtmännern und Sekretären in der Vereinsleitung hatte die Hopfenpraktiker nichts am Hut. Und Zahlen melden wollte man denen schon gleich gar nicht. Eine Folge dieses angeborenen Mißtrauens war, dass sich bis mindestens Ende des 19. Jahrhunderts nicht genau sagen ließ, wie viel Hopfen in der Hallertau tatsächlich angebaut wurde. Die verschiedenen Statistiken widersprechen sich zum Teil erheblich – und das lag nicht an der Schlampigkeit der Zahlensammler.

Mitgliedsausweis für den Deutschen Hopfenbau-Verein, 1882. Sechs Mark betrug der normale Beitrag im Verein pro Jahr, für Produzenten drei Mark (aus: Peter Heidtmann, Grünes Gold, 1994)

Das änderte sich auch in den Folgejahren wenig. So beschränkte sich der neue Hopfenbauverein gezwungenermaßen auf die Organisation von Versammlungen und Ausstellungen und versuchte Anbau und Wachstum der Hopfenpflanze wissenschaftlich genauer unter die Lupe zu nehmen.

Als 1889 die goldenen Jahre des Hopfenbooms vorbei waren, flog den Nürnberger Vereinsfunktionären immer lautere Kritik um die Ohren. Sie seien nicht mehr als Handlanger der Hopfenhändler und nicht zufällig in Nürnberg, im Weltzentrum des Hopfenhandels, beheimatet. Musste man sich anhören. 1892 kam es folgerichtig zur Neuaufstellung, Neuwahl, Neuausrichtung. Vom Elsaß bis nach Posen – damals alles noch Deutsches Reich – bildeten sich Zweigvereine, die, nun viel näher am jeweiligen Ort des Hopfengeschehens angesiedelt, sich bemühten, mehr als bisher die verschiedenen Lokalinteressen unter einem Meinungsdach unterzubringen. Mehr als bisher sollte es nun auch um Fragen der Anbautechnik gehen und nicht mehr so viel um die Vermarktung des Hopfens.

Trotz aller Umstrukturierungen engagierten sich im Verein weiterhin vor allem die Großkopferten unter den Hopfenpflanzern. Die es gewohnt waren, anzuschaffen und die Dinge nach dem eigenen Gusto zu lenken. Der kleine Pflanzer hatte nichts zu melden. Als 1912 die Hallertau erstmals größtes deutsches Hopfengebiet wurde, zählte auch die Meinung der weit entfernten Funktionäre aus Nürnberg immer weniger. Und so war nach dem 1. Weltkrieg vom Deutschen Hopfenbau-Verein nicht viel mehr übrig als ein Haufen Schulden und eine überalterte Vorstandschaft.

So kam es 1923 erneut zur Reorganisation. Mittelfranken war endgültig raus aus dem Vereinsgeschäft, die Zentrale wurde nach München verlegt. Gesamtdeutsch ging es auch nur mehr dem Namen nach zu. Der Präsident hatte satzungsgemäß aus Bayern zu stammen, sein Stellvertreter aus Württemberg, wo in Tettnang und Rottenburg noch wichtige Hopfenzentren lagen. Alle anderen deutschen Gebiete hatten mittlerweile nicht mehr viel zu melden im deutschen Hopfenbau. Die Geschäftsführung übernahm die Bayerische Landesbauernkammer. Auch inhaltlich ging es nun ganz anders zur Sache. Der Hopfenbau-Verein entwickelte sich zum Kampfbund. Zuerst einmal versuchte man mehr oder minder massiv auf alle Hopfenbauern einzuwirken, damit sie sich zur Mitgliedschaft entschlossen. Egal ob Brauer, Hopfenhändler oder Landwirtschaftsministerium, überall erkannte man Gegner, die den Hopfenbauern den ihnen zustehenden Erfolg im Hopfengeschäft streitig machen wollten. Selbst mit der 1926 neugegründeten Hopfenforschung in Hüll bei Wolnzach legte man sich an – was sich schließlich zum Rücktritt des Vereins-Präsidiums führte. Und zur erneuten Umstrukturierung. Ab 1928 hieß der Verein nun „Deutscher Hopfenbau-Verband“ und sollte nur mehr als Dachorganisation der diversen lokalen Vereine dienen. Einzelne Hopfenbauern konnten folglich nur mehr in den 28 Zweigvereinen und 380 Ortsgruppen Mitglied werden. Allerdings ab sofort zwangweise. So konnte der Deutsche Hopfenbau-Verband im Jahr 1929 sage und schreibe 14.800 Mitglieder verzeichnen. Jeder Pflanzer, der vor Ort Hopfen zur Abwaage brachte, bezahlte mit seiner Waaggebühr automatisch auch den Mitgliedsbeitrag für den jeweiligen Ortsverein. Kein Widerspruch möglich.

Festpostkarte zur Tagung des Reichsverbandes Deutscher Hopfenpflanzer in Saaz vom 13. bis 15. August 1939

Vielleicht ein ein erster Vorgeschmack auf das, was in den nächsten Jahren folgen sollte. Mit Beginn der nationalsozialistischen Regentschaft ab 1933 endetet nämlich erst einmal die Geschichte des unabhängigen Deutschen Hopfenbau-Vereins/Verbandes. Er wurde zwangsweise dem staatlichen „Reichsnährstand“ angegliedert. Es gab zwar weiterhin sogenannte „Hopfenpflanzerfachschaften“, deren Bezeichnung man 1937 wieder in „Verbände“ umwandelte, seit 1938 z. B. den „Hopfenpflanzerverband Hallertau“. Alle regionalen Verbände zusammen schloss die nationalsozialistische Regierung 1938 zum „Reichsverband Deutscher Hopfenpflanzer“ zusammen. Mittlerweile gehörten hierzu auch die Hopfengebiete im österreichischen Mühlviertel, in Böhmen und im Verlauf des Krieges dann auch in den besetzten Gebieten im Elsass und in Slowenien.Verbandssitz war nun Berlin. Verbandsaufgabe war es, alle Maßnahmen, die von den staatlichen Stellen angeordnet wurden, in den Anbaugebieten umzusetzen. Darunter die exakte Regelung der Anbauflächen, die jedem Hopfenbauern exakt vorschrieb, wie viele Hopfenstöcke er anbauen durfte – per Blechschild für jedermann am Hopfengarten abzulesen. Wo man sich nicht daran hielt, wurde zwangsgerodet. Auch eine Aufgabe des Pflanzerverbandes. 1944 zog die Geschäftsstelle kriegsbedingt ins weniger bombenbedrohte Roth bei Nürnberg um.

Hopfen-Ausstellung des Reichsverbandes Deutscher Hopfenpflanzer, 1941

Nach dem Krieg übernahm zuerst der neue „Verband bayerischer Hopfenpflanzer“ die Geschäfte des alten Reichsverbandes. Nach einigen Jahren der Umstrukturierung konnte dann ab 1949 schließlich der neue Verband deutscher Hopfenpflanzer seine Arbeit aufnehmen, als Dachorganisation aller deutschen Hopfenpflanzer. Zwei Jahre zuvor war schon der „Hopfenpflanzerverband Hallertau“ ins Leben getreten. Und nun endlich wurde man von dort aus aktiv, wo der Hopfen tatsächlich herkam, vom größten Hopfengebiet Deutschlands, von Wolnzach aus.

Seither lassen die beiden Verbände von dort aus ihre segensreiche Tätigkeit auf die deutsche und die Hallertauer Hopfenwelt wirken. „Das Verbandsleben der deutschen und der Hallertauer Hopfenpflanzerorganisation verlief (…) seit der Neugründung (…) in ruhiger Kontinuität“, schrieb Verbandschronist Lorenz Kettner zum Jubiläum 1974. Nach so viel historischem Radau absolut verstehbar. Zum 100-jährigen ließ man es trotzdem ordentlicih krachen, mit 100-Seiten-Chronik, Festakt im Münchner Cuvillies-Theater und im Haus der Kunst (mit mehr als 100 Gästen), Bierkarte mit 100 verschiedenen Bieren (aus ganz Deutschland), Käfer´s Party-Sound (zum Tanz) und allem was sonst noch dazu gehörte. Vielleicht war man damals noch mehr in Feierlaune. Vielleicht musste man auch erst die genaueren Hintergründe der Verbandsgeschichte kennenlernen, die Kettner in seiner wissenschaftlich sauber recherchierten Chronik zusammenstellte.

Bierkarte beim Festabend zur 100-Jahr-Feier, 1974, mit 100 verschiedenen Bieren. Man beachte auch die Hopfensackoptik.

Besucherkarte zum Festakt zur 100-Jahr-Feier, 1974

Der 150. Geburtstag im Jahr 2024 ist jedenfalls völlig geräuschlos am Pflanzerverband und dem Rest der Hopfenfamilie vorübergegangen. Zu weit entfernt liegt das, was einst in Nürnberg begann, mittlerweile von der heutigen Organisation entfernt. In 25 Jahren kommt man dann allerdings nicht mehr so leicht davon, wenn wieder ein Hundertjähriger auf dem Programm steht. Dann aber wirklich. Mit mindestens 175 Bieren. Aus der ganzen Welt.

Das „Haus des Hopfens“ mit neuem Anbau, 2003

Poetische Rundfahrt

Von Christoph Pinzl

Schon viele Male war das Deutsche Hopfenmuseum Ausgangs- und Endpunkt für die traditionelle Hopfenrundfahrt, veranstaltet vom Hopfenpflanzerverband. So auch heuer im Jahr 2024 wieder. Ende August trifft sich dabei in Wolnzach alles was Rang und Namen hat in der Hopfen- und Brauwirtschaft. Und begrüßt nebenbei hochrangige politische Prominenz. Der/die bayerische Landwirtschaftsminister/in ist immer dabei, in manchen Jahren kommt auch der bayerische Minsterpräsident vorbei (oder zumindest sein Stellvertreter), hin und wieder sogar bundespolitische Persönlichkeiten. Man/frau hält Reden, informiert sich über die Marktlage, besucht Hopfenbauern, besichtigt Hopfengärten, gibt den symbolischen Startschuss für die Hopfenernte. Und natürlich wird am Schluss gut gegessen und getrunken. Wenn es sein muss auch bis in die Nacht hinein.

72 Jahre zuvor gab es auch schon einmal eine solche Rundfahrt. Gastgeber war allerdings damals der Bayerische Brauerbund, der in München residiert. In unserem Archiv haben wir ein Fotoalbum entdeckt, das der Brauerbund im Nachgang des Ausfluges zusammenstellen ließ. Die Fotos nahm ein gewisser Hans Gugg auf, dessen Spur vermutlich ins Berchtesgadener Land führt. Von dort stammte nämlich der damalige Präsident des Bayerischen Brauerbundes, Dr. Ernst Röhm. Seines Zeichens Besitzer des Bürgerbräu Bad Reichenhall, den es heute noch gibt.

Zur Seite stand ihm ein Mann namens Franz Triendl. Über dessen Funktion wissen wir heute leider nichts mehr. Auf alle Fälle verfügte Herr Triendl über ein gewisses lyrisches Talent. Er hat nämlich die ins Album geklebten Bilder mit sehr launigen Gedichten unterlegt. So wie man das halt damals gerne gemacht hat. Seine kleinen Texte sind nicht nur nett zu lesen, auch (oder gerade) wenn er manche Reime mit der Beißzange zurechtgebogen hat. Sie strahlen eine Heiterkeit aus, bei der man versucht ist, sie auch den speziellen Zeitumständen zuzuordnen. Man spürt förmlich, wie aus ihnen die gute Laune des beginnenden Wirtschaftswunders Anfang der 1950er hervorquillt. Wie man aufatmet, das tausendjährige Reich endlich hinter sich gelassen zu haben. Wie man sich auf seine kühle Maß freut, für die der Hopfen die Grundlage liefert. Die gab es übrigens ganz frisch vom Hopfengut Höfter, damals der größte Hopfenpflanzer der Hallertau und zu der Zeit noch Brauereibesitzer.

1952 besichtigte man noch keine Hopfenpflückmaschinen. Von denen waren zwar schon erste erstaunliche Nachrichten aus England und den USA in die deutschen Hopfengebiete gedrungen. Aber mehr nicht. In der Hallertau schaute man noch ganz althergebracht den Hopfenzupferinnen bei der Arbeit zu. Ausschließlich Zupferinnen, was auffällt und vermutlich wieder zeittypisch damit zu tun hat, dass die Männer bereits gute Arbeit in Wirtschaftswunderdeutschland gefunden und keine Lust mehr auf Hopfenzupfen hatten. Oder aber vielleicht noch in Kriegsgefangenschaft ausharren mussten. Wer weiß. Kinder waren auch unter den Erntehelfern, so kennt man das. Abgemessen wurde wie üblich im Metzen, einem geeichten 60-Liter-Eimer, für dessen Füllung jeweils ein Metzenzeichen bezahlt wurde, das frau am Schluss in bares Geld umtauschen konnte. Abfahrt zur Rundfahrt war in München bei Autobus Oberbayern, noch mitten in der Stadt am Lenbachplatz, nicht weit vom Bayerischen Brauerbund. Ein Reiseziel war das Hopfengut Hüll, damals noch Teil des dortigen Hopfenforschungsinstitutes. Ein anderes die Kreisstadt Pfaffenhofen a.d. Ilm, deren Hauptplatz noch bemerkenswert anders aussah als heute. Besonderen Wert legte man auch damals schon auf ein möglichst großes Presseecho, damals unter anderem vertreten durch den Bayerischen Rundfunk.

Profis in ihrem Metier dürften weder Fotograf Gugg noch Texter Triendl gewesen sein. Und auch sonst würde vermutlich manches damalige Bonmot bei der heutigen Inhaltskontrolle Schwierigkeiten kriegen. Umso zeittypischer das Dokument aus heutiger Sicht. Wert, es hier in Ausschnitten vorzustellen.

„Hier in München ist der Start für die heut´ge Hopfenfahrt. Ohne jeden Zwischenfall geht es über Berg und Tal. Kaum verlassen Münchens Wände, steht man mitten im Gelände. Hier, man sieht´s den Männer an, spielt man etwas „Lageplan“.

„Gäste lassen auf sich warten, bis man endlich dann kann starten.“

„Hier besieht mit Kennerblick jeder Fachmann Stück für Stück.“

„Hier im Hopfengarten drin sieht man manche Dolde blühn.“

„Hopfenpflücken kostet Schweiß ! Drum wohl auch der Hohe Preis!“

„Kreszenz, ja einst warst du schön! Wie die Jahre doch vergehn! Sinnend schweift ihr Blick zurück nach der Jugend, nach dem Glück.“

„Sammelpunkt für jedermann ist das Brauereigespann. Wer die Arbeit gut gemacht, dem sei frischer Trunk gebracht.“

„Dieser Kleine will den Herren fachgemässes Pflücken lehren.“

„Nein, nicht nur bei Hopfendolden, sondern auch bei manchen Holden bleibt gern stehn der Fotomann. Was man wohl begreifen kann. Wo ist`s her die „Zupferin“ ? – Sie ist „Datschiburgerin“! (Augsburgerin)

„Strenge Herren geben acht, dass kein Schwindel wird gemacht.“

„Wo der Rundfunk ist dabei, gibt es Interviewerei. Firnholzer sagt: „Bitte schön, sprechens jetzt, Herr Doktor Röhm!“

Deutsche Wertarbeit

Von Christoph Pinzl

Es dürfte so Ende 1998 gewesen sein. Im Buch „Das andere Tübingen“, herausgegeben vom Marburger Volkskundeprofessor Martin Scharfe, entdeckte ich Aufnahmen einer „elektrisch betriebenen Hopfenpresse“, so stand es dort. Um 1885 hatte die der Tübinger Hopfenhändler Ferdinand Hoch in sein Hopfenmagazin einbauen lassen. Gebaut und geliefert 1889 von der Nürnberger Maschinenbaufabrik Spaeth. Zu diesem Zeitpunkt wussten wir so gut wie nichts über Hopfenpressen. Ebenso wenig wie von einstigen Hopfenhändlern im schwäbischen Tübingen. Nichtsdestotrotz war da eine beeindruckende Maschine zu sehen. Es dauerte ein wenig, bis mir auffiel, dass die Fotos nicht etwa historisch, sondern im Vorfeld der Bucherstellung aufgenommen worden waren. Das Buch stammte von 1978. Scharf kombiniert: Könnte es folglich sogar sein, dass die Familie Hoch noch immer in Tübingen wohnte? Vielleicht sogar die Presse noch so dastand wie im Buch zu sehen?

Es konnte. Sie stand. Das Telefonbuch – damals ein Informationsmedium erster Wahl – verriet die Tübinger Adresse der Hochs. Mittlerweile vertreten von Ingrid Hoch-Carstens, der Urenkelin des Firmengründers. Ein erster vorsichtig formulierter Briefwechsel: sehr geehrte, wir sind hier das Hopfenmuseum, das Deutsche, uns interessiert auch das Schwabenland, wir haben da so Fotos gefunden, ist da vielleicht noch etwas übrig, dürfte man eventuell sogar mal einen Blick drauf werfen, wäre es sogar möglich, dass – so in der Art.

Das Magazin der Hopfenhandlung Hoch im Jahr 1998. Knapp 40 Jahre lang hatte es stillgelegt vor sich hingeschlummert. Dann kamen wir.

Tja, hin und wieder gelingen solche Clous. Quasi Highlights in einem Museumsleiter/innenleben. Die eine spürt einen verschollenen Van Gogh auf, der andere entdeckt das über 100 Jahre alte Magazin eines Hopfenhändlers. Inklusive Firmenakten à la Verkaufsbüchern, Einbauplänen, Korrespondenz.

Und wir rannten offene Türen ein. Bemerkenswert allein der Grund, warum das Ganze noch an Ort und Stelle stand. Hoch hatte einst – im „Hopfen-Goldrauschjahr“ 1860 – sein Wohnhaus in Tübingen erworben und dahinter das Hopfenmagazin gebaut. Damals noch vor den Stadttoren, quasi auf der grünen Wiese, wie bei Hopfenhändlern üblich. Mit ihren brand-gefährlichen Hopfendarren waren sie in der Enge der historischen Altstädte nicht gern gesehen. Ätzende Dämpfe aus ihren Hopfen-Schwefeldarren ruinierten darüber hinaus die kostbaren Fassaden der Bürgerhäuser. Bis Anfang der 1960er Jahre war die Firma Hoch aktiv. Dann wurde das Licht im Magazin ausgeschaltet und es passierte nichts mehr. Ein Abriss oder auch nur ein Umbau der Gebäude war inzwischen schwierig geworden. Aus der Vorstadt war das Stadtzentrum geworden. Landratsamt, Universität, Stadtmuseum hießen jetzt die neuen Nachbarn der Hochs. Ausräumen, Sanieren, Neubau, so mittendrin in der Stadt? Sehr aufwändig. Also blieb einfach alles unverändert.

Die große Hopfen-Ballotpresse, um 1940.

Gut für das Deutsche Hopfenmuseum. Gut für die Familie Hoch, dass es das Hopfenmuseum gab. Perfekte Win-Win-Situation. Nach einem Besichtigungstermin wurde man und frau sich schnell einig: wir durften gerne alles mitnehmen, vorausgesetzt, wir bauten es selber ab und transportierten es eigenständig nach Hause. Alle waren froh.

So zog im Frühsommer 1999 eine bunt zusammengewürfelte Mannschaft los auf Abenteuerreise ins ferne Schwaben. Mit dabei ein alter Haudegen vom Wolnzacher Bauhof, zwei Lehrlinge aus der Elektrofirma des Museumsvereinsvorsitzenden, ein polnisches Kraftpaket aus der Firma des Herrn Bürgermeister – und der akademisch ausgebildete Museumsleiter. Nicht unbedingt ein Spezialtrupp zur Demontage schwerer Industriemaschinen.

Alle Hände voll zu tun (der einzig sinnvolle Text an dieser Stelle…).

Dementsprechend fiel auch die erste Inaugenscheinnahme nach der Ankunft in Tübingen aus. Unvergessen die Blicke der vier Demonteure. Wie? Die abbauen? Das Trum? Wir? Der Hinweis auf meine fehlenden Tassen im Schrank, wäre eine sehr freundlich geglättete Umschreibung der geäußerten Kommentare.

Als dann die Sicherung wieder eingeschraubt war und man vorsichtig den Schalter umlegte, stieg allerdings schon ein wenig die Faszination. Deutsche Wertarbeit, ohne Zweifel. Fast 30 Jahre Stillstand hatten die Maschine nicht im Geringsten beeindruckt. Rauf und runter fuhr die schwere Zahnstange, so reibungs- und geräuschlos, als wäre sie vorgestern zum letzten Mal gelaufen. Nur Hopfen war keiner mehr da zum Einpressen.

Da war sie schon weitgehend zerlegt, die Hopfenpresse.

Irgendwie kam es dann doch zum Lösen der ersten schweren Mutter am Gehäuse der Presse, zum Ausschrauben der ersten Gewindestange, zum Hochheben der ersten Wellen und Kurbeln. Zum Glück fiel uns relativ früh auf, dass ein munteres Anhäufen von Schrauben, Wellen und Lagern zwar den Abbau voranbrachte, beim späteren Wiederaufbau jedoch zu gewaltigen Problemen führen würde. Es gab ja keinerlei Aufbaupläne, Montageanleitungen oder ähnliches mehr. Und falls es sie überhaupt je gegeben hatte, hatten sie bei den Hochs nicht überlebt. Heute würde man Tablet oder Handy zücken und serienweise jedes einzelne Bauteil fotografieren oder am besten gleich alles per Video festhalten. Damals, im Prä-Smartphone-Zeitalter, rettete uns eine Polaroidkamera aus dem Fotoladen der nahen Innenstadt. Für die Jüngeren: eine Kamera, die unmittelbar nach dem Auslösen einen fertigen Bildabzug auswarf, der sich dann sofort mit Beschriftungen, Pfeilen, Zahlen aus dem wasserfesten Filzstift verzieren ließ. Was wäre wohl am Sonntag passiert, bei geschlossenem Fotoladen? Oder wenn das Hoch´sche Hopfenmagazin in einer Kleinstadt ohne Fotostudio gestanden hätte?

Polaroidbilder, um die Puzzleteile später wieder richtig zusammenfügen zu können.

Doch das Glück war uns hold. Nach ein paar Tagen lag die Ballotpresse tatsächlich komplett zerlegt vor uns, der überwiegende Teil im Obergeschoss des ehemaligen Hopfenmagazins. Dann wurde es noch einmal kritisch. Denn die Kranfirma, mit der eigentlich vereinbart war, dass sie uns beim Herunterheben der Maschinenteile helfen sollte, war plötzlich nicht mehr zu überreden. Alles viel zu eng und dann auch noch mitten in der Stadt, ja wie soll das gehen. An den räumlichen Umständen hatte sich zwar seit den vorbereitenden Gesprächen nichts geändert, aber was soll´s, wie brauchten eine andere Lösung.

Ein Durcheinander von Einzelteilen.

Diesmal half uns der Wolnzacher Bauhof aus der Klemme. Nachdem wir dem damaligen Bauhofleiter unser Malheur am Telefon geschildert hatten, er vor unserem geistigen Auge dutzende Male die Hände über dem Kopf zusammengeschlagen und sich zu Recht über so viel Naivität gewundert hatte, bestieg er höchstpersönlich den Bauhof-LKW samt Ladekran und fuhr die drei Stunden rauf nach Tübingen. Für den Rücktransport hatte er den Wolnzacher Hopfen-Fuhrunternehmer Thoma mit dabei. Und wieder war das Glück auf unserer Seite. Der Bauhof-Kran reichte zentimetergenau gerade so weit nach oben, dass die schweren Teile heruntergehoben und auf der Ladefläche verstaut werden konnten. Nach rund einer Woche Arbeit war schließlich alles im Wolnzacher Notdepot verstaut.

Abtransport der Einzelteile mit dem Bauhof-Kran.

Rund fünf Jahre später dann Wiederaufbau im mittlerweile fertiggestellten neuen Hopfenmuseums-Gebäude. Es stellte sich zwar heraus, dass einige Nummernetiketten an den Bauteilen sich beim Transport auf Nimmerwiedersehen verabschiedet hatten. Und dass ein paar Raummaße aus Tübingen vergessen und nicht mehr zu rekonstruieren waren. Und dass so einige Schrauben und Muttern seltsamerweise einfach übrigblieben. Und noch so ein paar Sachen.

Doch auch diese letzten Hürden konnten überwunden werden. So hat nun die schwere Ballotpresse aus Tübingen im Deutschen Hopfenmuseum in Wolnzach eine neue Heimat gefunden. Gut 25 Jahre ist das nun schon wieder her. Soweit bekannt, das einzige noch existierende Exponat seiner Art, im Originalzustand, fertig montiert und betriebsbereit. Ein beeindruckendes Zeugnis einer längst vergangenen Ära der Hopfenhandelshäuser, die einst das Stadtleben prägten. In Nürnberg, Bamberg, Fürth – und in Tübingen.

So steht sie heute im Deutschen Hopfenmuseum, die alte Ballotpresse aus Tübingen. Das einzige noch existierende Exemplar seiner Art.

40 Jahre Verein

Von Christoph Pinzl

Und wenn noch so viele beteilgt sind – irgendeine/r hat immer die erste Idee. Auch beim Deutschen Hopfenmuseum war es so. Dem Wolnzacher Elektromeister und passionierten Sammler Norbert Nemetz war aufgefallen, dass die Hallertau seit langer Zeit als größtes Hopfenanbaugebiet der ganzen Welt galt, museal zu diesem Thema aber nichts anbieten konnte. Das galt es seiner Meinung nach zu ändern. Schließlich lebten die Menschen in der Hallertau seit Generationen vom und für den Hopfen. Und im Laufe dieser jahrhundertealten Geschichte hatte sich viel verändert, sehr viel, mehr als genug um ein Museum damit zu füllen.

Monate zuvor hatte er bereits zahlreiche Gleichgesinnte um sich geschart. Arbeitskreise waren gebildet worden, für Öffentlichkeitsarbeit, für Exponatbeschaffung, für das Museumskonzept. Am 10. Juli 1984 war es dann soweit. Im Bräustüberl Wolnzach fand die große Versammlung statt. Ihr Zweck: die „Gründung eines Fördervereins Deutsches Hopfenmuseum Wolnzach e.V (…) im Namen von 60 namentlich eingeschriebenen Gründungswilligen“, so stand es in der Lokalzeitung. Nach Nemetz´ feurigem Appell, sich endlich der verblassenden Geschichte des Hopfens anzunehmen, standen am Ende tatsächlich alle prognostizierten Vereinsmitglieder auf der Liste.

Außergewöhnlich war also auch die Ausgangslage für das zukünftige Museum. Hier wollte sich kein Lokalpolitiker ein Denkmal setzen, kein investitionswilliges Unternehmen ein Erlebniszentrum errichten, keine eingestaubte Sammlung endlich eine Bleibe finden, kein denkmalgeschütztes Gebäude einem Nutzen zugeführt werden. Das Deutsche Hopfenmuseum war von Anfang an ein „Museum von unten“. Von den Leuten initiiert, um deren Geschichte es gehen sollte. Somit stand schon zu Beginn die wichtigste Leitlinie fest: was auch immer im künftigen Museum präsentiert würde – es dürfe nicht einfach um Objekte gehen. Im Zentrum sollten Menschen stehen. Menschen, die mit dem Hopfen zu tun hatten, seinem Anbau, seiner Vermarktung, seinem Gebrauch und Nutzen.

Anfangs noch ohne professionelle Unterstützung legte man los, schließlich war das Aufgabenheft prall gefüllt. Zuerst galt es eine Sammlung zusammenzuholen, aus dem Nichts. In erstaunlich kurzer Zeit wuchsen Exponatsammlung, Bibliothek und Archiv an, heute vermutlich die größte Spezialsammlung zum Thema Hopfen auf der ganzen Welt. Man warb nicht nur in Hallertauer Dörfern und Gemeinden für das neue Museum. Schließlich nahm man den eigenen Namen ernst: ein „Deutsches Hopfenmuseum“ sollte es werden, keine lokale Heimatveranstaltung. So präsentierte man sich auch in anderen deutschen Hopfenanbaugebieten, in Tettnang am Bodensee, in Franken, in Ostdeutschland, holte von dort Geräte, Archivalien, Fotobestände nach Wolnzach. Deutschlandweit kontaktierte man Archive, Bibliotheken, Historiker und Heimatkundige, sammelte die verstreuten Spuren des einstigen Hopfenbaus aus der ganzen Republik.

Auch die Presse interessierte sich bald für das Wolnzacher Museumsprojekt: Museumsvater Norbert Nemetz steht 1984 dem Hörfunkjournalisten Rede und Antwort.

Schon nach einigen Monaten konnte die eifrigen Vereinsleute pressewirksam eine erste Ausstellung präsentieren. Nun meldete sich auch erster politischer Beistand. Kein geringerer als der damalige bayerische Landwirtschaftsminister, Dr. Hans Eisenmann, zeigte sich unter den Gästen, war beeindruckt und signalisierte Unterstützung. Die folgte auch bald in Form der überregionalen Fachbehörde, der „Landesstelle für die nichtstaatlichen Museen in Bayern“, die Referent/innen nach Wolnzach schickte, wertvolle Tipps gab, einen tragfähigen musealen Rahmen vorgab. Der Verein ließ sich gerne inspirieren. Bereits 1990 gelang es, den heutigen Museumsträger, den Zweckverband Deutsches Hopfenmuseum, bestehend aus dem Bezirk Oberbayern, dem Landkreis Pfaffenhofen a.d. Ilm und dem Markt Wolnzach, ins Leben zu rufen. Um die Politiker von seiner Idee zu überzeugen, reiste Norbert Nemetz damals extra nach München und hielt vor dem versammelten Bezirkstag eine flammende Rede für seinen Museumsplan.

Bereits die ganz einfach gehaltenen Sonderausstellungen der Anfangsjahre zogen viel Publikum an.

Mehr und mehr bekam das ganze Projekt einen professionellen Anstrich, Museumsfachleute und Historiker erhielten erste Werkverträge. Mit dem alten Wolnzacher Feuerwehrhaus fand sich auch bald ein Depot für die immer umfangreicher werdende Sammlung. Dort richtete der Verein Ende der 1980er Jahre auch eine erste provisiorische Schausammlung ein, durch die der 1. Vorsitzende höchstpersönlich eine wachsende Zahl von Besuchern mit viel Eloquenz und Charme führte. Angeleitet von der Fachbehörde begann der Verein auch mit einer ersten Grundinventarisierung der Sammlungsstücke.

Alles lief ganz prächtig an, bis plötzlich die Ernüchterung folgte. Als man nämlich darum bat, ein historisches Gebäude im Zentrum von Wolnzach für die endgültige Museumslösung zur Verfügung gestellt zu bekommen, reagierte der Markgemeinderat unerwartet reserviert. Mitten in Wolnzach, auf so einem Filetstück, für so ein Museum? Gab es da keine Alternativen?

Schwierig. Und so wich ganz allmählich der anfängliche Sturm der Begeisterung einer nüchternen Suche nach dem richtigen Standort. Eigentlich war alles bereitet, die Sammlung wuchs und wuchs, sogar ein hauptamtlicher Museumsleiter durfte bereits aktiv werden. Man organisierte Sonderausstellungen, gründete eine eigene Schriftenreihe, publizierte, warb, baute (mit sehr viel Eigenleistung des Vereinsvorsitzenden) ein neues Depot aus, führte jährlich über 100 Gruppen durch das neue Provisorium. Mittlerweile standen auch alle Verantwortlichen beim Markt Wolnzach voll hinter der Idee. Sogar der Wolnzacher Rathauskeller wurde als möglicher Museumsstandort ins Visier genommen, erwachte durch das Engagement des Vereins und seines unermüdlichen Vorsitzenden aus dem Dornröschenschlaf.

Der Wolnzacher Rathauskeller nach der provisorischen Renovierung durch den Verein Deutsches Hopfenmuseum.

Doch trotzdem sollte es ab dem Jahr der Vereinsgründung noch ganze 21 Jahre dauern bis das endgültige Museum eröffnet werden konnte.  Mit das erstaunlichste an dieser überlangen Wartezeit war vielleicht, dass so ziemlich jedes der ursprünglichen Mitglieder dem Verein die Treue hielt. Im Gegenteil, mehr und mehr Institutionen, Firmen aus der Hopfen- und Brauwirtschaft, lokale Unternehmen, engagierte Privatleute, sicherten als „Vereinspate“ ihre Unterstützung zu.

Norbert Nemetz übergab bald nach der Museumseröffnung den Staffelstab an Johannes Sommerer, der als Vorsitzender die Vereinsarbeit erfolgreich weiterführte, viele neue Impulse einbrachte. Auf ihn wartete nun das harte Alltagsgeschäft, die Aufgabe, ständig Leben in die Museumsräume zu bringen, die Mitglieder bei der Stange zu halten. Ihm folgte 2016 Lorenz Reich, der bis heute die Vereinsleitung in der Hand hat. Das jüngste Kind des Vereins nennt sich „Schaudepot Deutsches Hopfenmuseum“. Dort sollen all die Dinge ans Licht der Öffentlichkeit gelangen, die in der Dauerausstellung des Museums bisher keinen Platz fanden. Vielleicht ist es das Schicksal des Vereins, dass sich auch dieses Projekt unerwartet in die Länge zieht. Mit der Unterstützung seiner vielen treuen Mitglieder im Rücken wird der Vereinsvorstand aber sicher auch diesen Plan bald zu einem guten Abschluss bringen können.

Rebell von Pötzmes

Von Christoph Pinzl

Wenn die Lage schwierig genug wird, kann und will auch das demokratischste Gemeinwesen von allzu viel Meinungsfreiheit nichts mehr wissen. Vorgänge im Hopfenbau der 1920er Jahre erinnern auffällig an die Zustände während der Corona-Pandemie. Wenn es schnell gehen muss, hat die Wissenschaft keine Zeit mehr, alle Leute mitzunehmen. Und erntet mit ihrem Wahrheitsanspruch zwangsläufig auch eine Menge Misstrauen. Und natürlich auch Widerspruch.

Zum ersten Mal tauchten die Spuren 1924 auf. Das Wetter war lausig in diesem Sommer. Zu nass, zu kalt. Am Hopfen zeigten sich braune Stellen. Bauern und Funktionäre glaubten, dass sich das grüne Gold schwer tat mit der ungewohnten Witterung. Wird schon wieder werden. Als im Jahr darauf die „Doldenbräune“ aber erneut zum Vorschein kam, wurde man nervöser und begann näher hinzuschauen. Da war es aber schon fünf vor zwölf. Denn kurz vor der Ernte 1926 war im Zentrum der Hallertau fast kein gesunder Hopfen mehr zu finden. Eine Katastrophe ungeahnten Ausmaßes bahnte sich an. Der Hallertauer Hopfenbau stand vor dem Untergang.

Hopfenforschungs-Institut in Hüll, um 1950

Wie ernst die Lage war, lässt sich am besten daran erkennen, dass plötzlich alle, wirklich alle an einem Strang zogen. Bauern, Händler, Brauer, Wissenschaftler, Staatsapparat, alle zeigten Effizienz. Was man sich zuerst noch als unschöne Verfärbung schöngeredet hatte, stellte sich bald als neuartige Krankheit heraus. Ein Name für die Hopfen-Pandemie stand schnell fest: Peronospora. Bis dahin nur im Weinbau bekannt, hatte sich der Pilzbefall aus mysteriösen Gründen plötzlich auch im Hopfen heimisch gemacht. Man verdächtigte die Hopfen-Konkurrenz in den Vereinigten Staaten irgendwelcher Machenschaften, wie auch immer der heimtückische Krankheitsanschlag auf den deutschen Hopfen stattgefunden haben könnte. Letzten Endes war es aber egal, woher die Hopfenpest stammte. Es galt zu handeln. Sofort.

Und das tat man, wie gesagt, in seltener Einigkeit. Bereits 1926 kaufte ein Verbund aus allen Betroffenen das Hopfengut Hüll. Ein Teil davon wurde zum Forschungsinstitut für Hopfenbau umgebaut, das es heute noch gibt. In Kürze feiert es seinen 100. Geburtstag. Als dessen Leiter bestimmte man den jungen Landwirtschaftsrat Hugo Hampp aus dem schwäbischen Deisenhausen. Später erhielt er, nicht ganz zu Unrecht, den Beinamen, „Retter der Hallertau“. Hampps dringendste Aufgabe war es, den Bauern ganz schnell beizubringen, wie sie gegen die Peronospora vorzugehen hatten. Als Kampfmittel No. 1 bewährte sich eine Lösung aus Kupfer und Kalk. Anfangs noch selbständig in großen Anlagen zusammengemischt, war die Kupferkalklösung bald auch in fertiger Form von der Chemiefabrik Wacker aus München zu beziehen. Die „Bordellaiser Brühe“ war, man ahnt es, eine bewährte Mixtur aus dem Weinbau, wo die Pflanzer ja bereits ihre Erfahrungen mit dem Pilzbefall gesammelt hatten.

Stefan Krojer, um 1930

Es war sicher keine leichte Aufgabe, den ungeschulten Hopfenbauern den Umgang mit chemischen Wirkstoffen beizubringen. Noch viel größer war allerdings eine ganz andere Herausforderung. Besser heute noch als morgen sollten sie nämlich einen Haufen Geld in den Kauf einer neuen Spritzmaschine investieren. Eine Hopfenspritze kostete schon in der sehr simplen Ausführung als Buckelspritze die damals nicht unwesentliche Summe von rund 80 Mark. Das Ganze als rollbare Karrenspritze mit 100 Liter-Messingbehälter und drei Rädern gab es ab 270 Mark. Die letzten Endes einzig zukunftsfähige Bauweise mit 5 PS-Motorantrieb und Zubehör verschlang schließlich lockere 1500 Mark.

Und spätestens jetzt rührte sich Widerstand. Und in keiner anderen Figur spiegelte sich dieser Widerstandsgeist deutlicher als in der eines Mannes, den man zu guter Letzt öffentlich für „geistig nicht normal“ erklärte: Stefan Krojer, aus der Hallertauer Ortschaft Pötzmes. Ein unabhängiger Geist, der er war, verbreitete Krojer seit Ende der 1920er Jahre in der gesamten Hallertau in mündlicher wie schriftlicher Form seine ganz eigenen Gedanken zu praktischem Hopfenbau und sinnvollem Pflanzenschutz. Die offiziellen Einschätzungen zu Stefan Krojer waren relativ eindeutig: Ein „Scharlatan“ sei er gewesen, dessen unsinnige Ideen „wahrlich nur als Hirngespinst in einem kranken Kopf sich bilden“ konnten. Wie gesagt, so lautete das amtliche Urteil. Auffallend anders fiel das Meinungsbild unter den Hopfenbauern aus:

„Der Krojer war eine sehr aufgeschlossene Person, sehr redegewandt. Und er war ein guter Ansprechpartner. Und da muss man sagen, der Mann hat in der Hallertau schon wirklich den Leuten was darbieten können, das der Landwirtschaft gerade im Hopfenbau große Hilfe geboten hat, damit der Bauer wieder leichter arbeiten hat können mit den Hopfenspritzen“ (Herr A., Hopfenbauer, Jahrgang 1916).

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„Der Krojer, der hat so verschiedene Sachen erfunden, da wo man sich gewundert hat. (…) Der hat nämlich eine Sense gehabt, eine klappbare und der hat den Automaten erfunden. Wir waren welche von den ersten, das vergess´ ich nicht, da hat nur ein Mann Hopfen gespritzt (…) der hat praktische Sachen erfunden, die für den Landwirt eine große Erleichterung waren“ (Herr B, Hopfenbauer, Jahrgang 1920).

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Kultursense von Stefan Krojer, zum Schneiden der Hopfenstöcke im Frühjahr, um 1930

Krojers Wirksamkeit stand in deutlichem Kontrast zur offiziellen Einschätzung seiner Person. Seine „Kultursense“ brachte eine erhebliche Erleichterung beim Hopfenschneiden im Frühjahr und entwickelte sich zum Verkaufsschlager. Auch sein „Pendelverstäuber“, den er sich sogar patentrechtlich schützen ließ, fand zahlreiche Abnehmer. Dementsprechend waren die meisten seiner Versammlungen „gedrückt voll“, wie der Hollerdauer Berichterstatter 1931 schrieb. An was es ihm auf keinen Fall mangelte war Selbstbewusstsein: „Es steht unbeugsam fest, daß das Rätsel der Peronospora gelöst ist, wofür mir der gesamte deutsche Hopfenbau zum Danke verpflichtet ist.“

Manchmal erschienen Krojers Aktivitäten allerdings wie eine Karikatur des amtlichen Propagandafeldzuges. Seine Spritzmittel verteilte er in Wein- und Limonadenflaschen, als Überzeugungshilfe führte er einen selbst erstellten Film mit dem eigenwilligen Titel „Alpenglühen“ vor und sein im Eigenverlag erschienenes „Hopfenbau-Taschen-Jahrbuch“ präsentierte ein ganzes Sammelsurium etwas „speziellerer“ Ratschläge, Konstruktionen und Gerätschaften für den Hopfenbau. Seinen Ratgeber beschloss er mit den Worten: „Nur Reduzierung der Produktionskosten, grüne Farbe und Qualitätsbau kann den hopfenbautreibenden Landwirt retten!“ Schließlich gründete er in seinem Heimatort sogar eine eigene „Versuchsstation für Hopfen und Obstbau“. Seine Gegner reagierten fassungslos: „Als ganz besonders wichtig (…) betonte Krojer in seinem Vortrag (…) das Spritzen der Pflanzen 4 Tage vor dem Regen. Hier kommt allerdings die Wissenschaft nicht mehr mit.“

Ganz eindeutig prallten hier zwei Welten aufeinander. Und es wurde bald klar, dass es dabei nicht nur um wahr oder falsch ging. Wie ein aufrechter Don Quichotte des Hopfenbaus ritt er seine Attacken gegen die Windmühlen einer amtlich verordneten Modernisierung. In der Rhetorik des „Mussolini der Hallertau“ wie man Krojer später auch bezeichnete, erschien ein bäuerlicher Eigensinn, der sich von den staatlichen Behörden nicht vorschreiben lassen wollte, was er zu denken und zu machen habe. „Interessiren Sie sich mal an meiner Person, dann werden Sie besser in das Dunkel der Nacht im Deutschen Hopfenbau sehen“, forderte Krojer seine Kontrahenten auf.

Pendelverstäuber von Stefan Krojer für den Pflanzenschutz im Hopfen, Auszug aus der Patentschrift von 1928

Dass hierbei keineswegs nur „Dummheit oder Bosheit“ am Wirken waren, wie es seine Gegner verbreiteten, zeigten Krojers sachlichere Argumente. Dem Präsidenten des Deutschen Hopfenbau-Vereins, Franz Edler von Koch, warf er nicht nur vor, den „Drang und die große Not der Deutschen Hopfenbauern“ zu ignorieren: „Sie als großer Hopfenbauer haben in erster Linie den Vorteil, da Sie ja 2/3 an Arbeit sparen“, warf er von Koch – damals der größte Hopfenbauer der Hallertau – an den Kopf. Wenn Krojer schließlich behauptete, die staatlichen Funktionäre hätten absichtlich zuerst für Rücken- und Karrenspritzen und bald darauf doch für Motorspritzen plädiert und dass sie dadurch „die Bauern um ihr Geld brächten“, wandelte er sich vollends zum Sprachrohr der vielen verunsicherten Kleinhopfenbauern. Er appellierte an ihre Solidarität: „Hopfenbauern, die ihre Existenz noch hochhalten wollen, müssen erscheinen. Es ist eine Rettung möglich, aber wollen müssen sie. Erscheint in Massen, nur dann ist ein Erfolg möglich.“ Folgerichtig stellte er bald auch klare sozialpolitische Forderungen: Strom- und Bierpreis senken, soziale Lasten mindern, die Peronosporabekämpfung vereinheitlichen, Schadensersatz für die Verluste durch die kostspieligen Maßnahmen gewähren.

Als man ihn im Frühsommer 1931 gewaltsam aus einer gegnerischen Versammlung entfernen ließ, brachen schließlich alle verbalen Dämme: „Das war das Zeichen zum Losschlagen“, polterte er, „jetzt werden die Sündenregister alle gezogen, und was sich nicht Biegen läßt, muß Brechen, alles wird über den Haufen geworfen, die Folgen haben sich alle im Hopfenbauverband Tätigen zuzuschreiben. Die ganze Wissenschaft ist auf den Kopf gestellt und muß sich dies gefallen lassen. Das sind meine letzten Worte.“

Hopfenbau-Taschen-Jahrbuch von Stefan Krojer, 1930

Waren es tatsächlich, aber anders als von ihm gemeint. Krojer selbst wurde Opfer der Krisensituation, die er so massiv abzuwehren versuchte. Die hohen Kosten seines Feldzuges verschlangen erhebliche Teile seines Vermögens. Seine radikale Sturheit erstickte jede obrigkeitliche Bereitschaft zur Unterstützung. Schließlich ließen ihn mehrere Prozesse wegen Beleidigung und übler Nachrede endgültig verstummen: Krojer erhielt Anfang der 1930er Jahre Redeverbot.

Die offiziellen Stellen hatten sich durchgesetzt. Zahlreiche Hopfenbetriebe, die sich nicht mit der neuen Zeit des Pflanzenschutzes anfreunden wollten oder konnten, mussten aufhören. Wer nach Lösungen für drängende Hopfenbauprobleme suchte, verließ sich ab sofort auf Chemie und Wissenschaft.

Stefan Krojer starb 1966. Er liegt in seinem Heimatort Pötzmes begraben.

Drahtausziehmaschine

Von Christoph Pinzl

Bis zum Aufkommen der Pflückmaschine in den 1950ern zog man jeden Herbst nach der Ernte die Drähte aus der Hopfenrebe. Um sie nächstes Frühjahr wiederverwenden zu können. Mit der Hand. Mühsam, schmutzig, unbeliebt war das. Und schon einmal Thema eines Blog-Beitrages.

Nach dem Zweiten Weltkrieg dachten sich ein paar findige Konstrukteure eine Maschine aus, die einem diese mühsame Arbeit abnehmen sollte: die Drahtausziehmaschine. Jahrzehntelang schlummerte so ein Gerät bei uns im Depot. Quasi unentdeckt. Die Einzelteile lagen sichtbar vor uns, das schon. Aber wir wussten nicht, zu was sie gut waren.

Die Drahtausziehmaschine von Jakob Kutscher, Zieglberg, in der Ausführung mit Sachs-Motor. Aufnahme um 1958.

Bis uns der Zufall und die Pandemie auf die Spur brachten. Während Corona wütete, hatten wir endlich ein wenig Zeit übrig und fügten die Maschine wie ein Puzzle zusammen. Aus jeder Ecke unserer Depots holten wir nach und nach die Einzelteile hervor. Eigentlich hätten die, so wie sich das in einem Museum gehört, wenigstens durchnummeriert und fotografiert sein müssen, inventarisiert nennt man das. Nach mehreren Hau-Ruck-Umzügen unserer Museumsbestände über die Jahre war das aber leider auf der Strecke geblieben. Und so brauchte es erst genug Muse und detektivisches Kombinieren während eines Lockdowns, um die geheimnisvolle Maschine wieder zum Leben zu erwecken.

Und wo das auch noch nicht reichte, musste halt ein bisschen Glück und der Zufall auf die Sprünge helfen. Nach dem Zusammenbau verstanden wir nämlich immer noch nicht recht, zu was das rätselhafte, ellenlange Gerät gut sein sollte. Bis ein Vereinsmitglied am Dorfstammtisch davon erzählte. Und unglaublicherweise ein anwesendes Stammtischmitglied sich meldete: das sei doch seine Maschine, die wir da gefunden hätten. Eine Drahtausziehmaschine. Hat er dem Museum vor 35 Jahren überlassen. Sachen gibt´s.

Aus der Patentschrift von Jakob Kutscher, 1957.

Jedenfalls haben wir uns dann vom Vorbesitzer, dem Schmid Georg (der Grua´ von Oberlauterbach), genau beschreiben lassen, wie das Ding funktionierte. Warum es seine Familie damals angeschafft hat. Was es zu beachten galt. Wieso es nicht allzu lange in Betrieb war. Danach war klar, dass so ein Fund geradezu danach schrie, nachträglich filmisch dokumentiert zu werden. Was gar nicht so einfach war. Weil es ja keinen Hopfen mehr gibt, der an den alten, wiederverwendbaren Zinkdrähten nach oben wächst. Solche Drähte verschwanden mit der Einführung der Pflückmaschine.

Also mussten zuerst im Frühjahr ein paar Hopfenreben mit dem alten Draht aufgehängt werden. Praktischerweise gleich direkt vor unserem Museum im hauseigenen Hopfengarten. Im Herbst war es dann soweit. Um das Ganze ein wenig authentischer aussehen zu lassen, haben wir die Reben alle abgeschnitten und raus nach Niederlauterbach in einen leeren Hopfengarten gefahren. Dort fand dann der Filmtermin statt. Nicht hundert Prozent originalgetreu, denn dazu hätten wir zuvor noch alle Hopfendolden abernten müssen. Ja mei. Aber auf alle Fälle kann man nun noch einmal sehen, wie die alte Drahtausziehmaschine ihren Dienst verrichtet.

Unsere Maschine aus der Vogelperspektive, 2022.

Nicht ganz ungefährlich. Die Berufsgenossenschaft hätte heutzutage sicher erhebliche Bedenken wegen der Arbeitssicherheit anzumelden. So etwas hat aber in den 1950ern noch keinen interessiert. Georg Schmid, damals noch ein Bub, erzählte uns, wie bei ihm daheim zuerst die Drähte von Leiharbeitern gegen Entlohnung ausgezogen worden waren. Wie dann sein Vater diese Arbeit übernahm. Und als der dann krankheitsbedingt nicht mehr konnte, die Drahtausziehmaschine auf den Hof kam. So Mitte der 1950er muss das gewesen sein.

Ein Hersteller ließ sich nicht mehr genau herausfinden. Die Maschinenbaufirma Jakob Kutscher aus Zieglberg, nahe Moosburg, warb noch 1958 mit einem sehr ähnlich gebauten Apparat. Kutscher lieferte ihn in zwei Ausführungen: mit Zapfwellenantrieb (wie bei uns) und mit stationärem Sachs-Motor. In der Bauweise recht ähnlich wie unsere Maschine, aber doch ein bisserl anders. Vielleicht ein Nachfolger. Oder die Zieglberger ließen sich damals von unserem Vorgänger „inspirieren“. Wie auch immer. Ein Kaufpreis ist nicht mehr bekannt. Ganz billig dürfte das Gerät nicht gewesen sein. Kutscher meldete 1957 dafür auch Gebrauchsmusterschutz an.

In unserem neuen Schaudepot soll die Drahtausziehmaschine dauerhaft zu sehen sein. Begleitet von den Filmaufnahmen, die wir nachträglich erstellt haben.

Tuberkulose

Von Christoph Pinzl

Wie stark eine Gesellschaft eine Krankheit als Bedrohung empfindet, hängt nicht alleine von statistischen Daten ab. Dies ließ sich im Verlauf der Covid-19-Pandemie sehr gut beobachten. Die Krankheit, die wohl am stärksten auch als soziales Phänomen angesehen werden muss, war und ist die Tuberkulose.

Sie ist eine der tödlichsten Infektionskrankheiten aller Zeiten. Der Erreger kann grundsätzlich alle Organe befallen, die häufigste Form ist jedoch die Lungentuberkulose. Ein Krankheitsverlauf über Jahre ist keine Seltenheit. „Phtisis“, ein „Dahinsiechen“ nannten die alten Griechen das Leiden, ein Begriff, der sich lange in der medizinischen Literatur hielt. Die „Schwindsucht“, auch „Auszehrung“, ist vermutlich so alt wie die Menschheit selbst, jedenfalls lassen sich ihre Spuren sehr weit zurückverfolgen, wobei die recht allgemeinen Bezeichnungen schon darauf hinweisen, dass nicht immer klar hervorgeht, ob in den Quellen immer das gleiche gemeint war. Ebenso alt sind die Methoden zu ihrer Heilung, wenngleich die Ansätze hierzu selten allzu wissenschaftlich daherkamen. Besonders beliebt war beispielsweise die in England als „royal touch“ bekannte gewordene Methode des Handauflegens durch den jeweiligen König bzw. die Königin. Schließlich waren die Herrschaften ja von Gott gesalbt, das sollte dann auf alle Fälle helfen.

Etwas diesseitiger, wenn auch nicht unbedingt erfolgversprechender ging man ab dem 18. Jahrhundert zu Werke. In dieser Zeit wandelte sich der „Weiße Tod“ zu einem ästhetischem Leiden, zum „romantischen Fieber“. Der bleiche Ausdruck der oftmals jungen Opfer entwickelte sich zum Schönheitsideal. Blasse, ätherische Schönheiten mit abwesendem Blick standen Malern Modell, Verkörperungen einer aufs Jenseits gerichteten Moral von Unberührtheit und Zartheit. In den Alpen wandelten sich Bergdörfer wie Davos zu mondänen Luftkurorten, in deren Sanatorien, auch „Hustenburgen“ genannt, die kurzatmige Patientenschaft exklusive Langzeitaufenthalte buchte. In Thomas Manns berühmtem Roman „Der Zauberberg“ meisterhaft verewigt.

Allmählich entwickelte sich die Tuberkulose jedoch zu einem Problem ärmerer Schichten. Beengte Lebensverhältnisse im „gemeinen Volk“ führten dazu, dass um 1880 jeder zweite Tote zwischen 15 und 40 Jahren in Deutschland ein Tuberkulosepatient war. Spätestens jetzt fand die romantische Verklärung ein Ende. Der Kampf gegen die Schwindsucht wurde zu einer der dringlichsten Aufgaben der öffentlichen Wohlfahrt. Hopfenhändler Wilhelm Gerngros, als Nürnberger in einer der Hochburgen der Krankheit zuhause, war maßgeblich an der Errichtung der Lungenheilanstalt Engelthal südlich des damaligen Hopfenzentrums Hersbruck beteiligt und erhielt für seine Verdienste im Tuberkulosekampf 1913 sogar die Goldene Bürgermedaille. Dass sich in seinem Handelsgut, dem Hopfen, ein Schlüssel zur Lösung des Problems verbergen könnte, erschloss sich ihm allerdings nicht.  Auch wenn Max Hayduck am Berliner Institut für Gärungsgewerbe schon 1885 die antiseptische Wirkung von Hopfenbitterstoffen erstmals zweifelsfrei nachgewiesen hatte, schlug niemand eine Brücke ins Lager der Schwindsuchtbekämpfer.

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„Eine Kochsche Impfung in der Charité zu Berlin in Gegenwart von fremden Aerzten.“ Aus: Die Gartenlaube, 1891, H. 1. S. 14.

Auch nicht als Robert Koch 1882 ein Meilenstein gelang und er endlich den Auslöser der weißen Pest dingfest machen konnte: das Mycobacterium tuberkulosis. 1905 erhielt er dafür den Nobelpreis für Medizin. Weniger Lorbeeren heimste Koch mit dem von ihm zusammengemischten Heilmittel „Tuberkulin“ ein, das sich nach anfänglicher Begeisterung schließlich als völlig unwirksam, ja sogar gesundheitsschädlich herausstellte.

Angeblich soll Hopfen schon im Mittelalter als Heilmittel bei Tuberkuloseerkrankungen einsetzt worden sein. Belege gibt es dafür jedoch keine, jedenfalls keine stichhaltigen. Konkreter wurde die Sache erst nach dem 1. Weltkrieg. Die Geschichte begann mit einem Herrn namens Rudolf Lang, promovierter Jurist und in Thüringen beheimatet. Dieser litt bereits in den 1920er Jahren an einer Lungentuberkulose, galt als geheilt, erlitt aber 1937 einen Rückfall. Plötzlich „eines Tages waren alle Symptome der Erkrankung (…) völlig verschwunden; alles kehrte aber am nächsten Tage wenn auch in verminderter Stärke wieder (…) Eine Ueberprüfung der Speisen und Getränke (…) ergab nur ein Wasserglas warmes Bier als abnormal.“ Hellhörig geworden nahm er Kontakt mit einer nahegelegenen Lungenheilanstalt auf, die ihren Patienten daraufhin auch warmes Bier verordnete und ebenfalls ein allgemein verbessertes Befinden wahrnahm. Nachdem Lang dann auch noch den Fall des tschechischen Bauern Bruj analysierte, der bereits zwei Mal wegen der Schwindsucht Witwer geworden war, von der der Landwirt aber trotz sehr beengter Wohnverhältnisse immer auf wundersame Weise verschont geblieben war, lag der Fall auf der Hand: „Der Schleier des Geheimnisses fiel, als Bruj eines Tages erklärte, daß er früher bis zu 30 Seidel Bier getrunken habe“. Daraufhin braute Lang auf eigene Faust ein Elixier namens „Edwil“, dessen Ingredienzien er zwar geheim hielt, das aber wohl nicht allzu viele Unterschiede zu einem klassischen Vollbier mit knappen 12% Stammwürze aufwies. Edwil, wie es ein späterer Chronist vermerkte, „erzielte, vorsichtig ausgedrückt, überraschende Ergebnisse“ und konnte sich tatsächlich beim Einsatz gegen die Tuberkulose einen gewissen Ruf erarbeiten. Worin er den entscheidenden Wirkstoff vermutete, verriet Lang in einer Denkschrift mit dem bezeichnenden Titel, „Hefen : die Schöpfer bakterizider Wirkstoffe nach Penicillinart gegen verschiedene Krankheitserreger.“ Die Hefe sollte es also gewesen sein.

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Warmes Bier als probates Mittel gegen die Tuberkulose rückte nach dem 1. Weltkrieg ins Blickfeld. Quelle: Wikipedia, Urheber: 1971markus

Dieser Überzeugung folgte man allerdings nicht überall. Schon allein deshalb, weil Lang „unbelastet durch jegliche Sachkenntnis“ handelte, wie ein Forscher süffisant anmerkte. So erhielt 1951 ein Student der Medizin namens Hermann Schmid aus Grafing bei München von der deutschen Forschungsanstalt für Tuberkulose „die Aufgabe gestellt, an Hand von statistischem Material einen etwaigen Zusammenhang zwischen Biergenuss und Tuberkuloseanfälligkeit zu finden.“ Mittlerweile war man nämlich auch in der pharmazeutischen Wissenschaft auf die Bierinhaltsstoffe aufmerksam geworden. Allerdings weniger auf die Hefen als nun vielmehr auf den Hopfen.

Die entscheidenden Impulse kamen aus den USA. Angeregt durch die Hop Growers´ Association hatte das US-Landwirtschaftsministerium dem Western Research Laboratory im kalifornischen Albany den Auftrag erteilt, den Hopfen im Tuberkulose-Kontext genauer unter die Lupe zu nehmen. Erste Ergebnisse trafen 1949 ein. Ein Forscherteam deckte einen signifikanten Effekt von Hopfeninhaltsstoffen gegen Mycobacterium tuberkulosis auf und wurde in mehreren Folgestudien bestätigt. In den Experimenten verringerte sich die Bakterienzahl innerhalb kürzester Zeit bis auf ein Viertel der ursprünglichen Menge. Besonders die β-Säure Lupulon tat sich hervor, ihre Wirksamkeit lag um das 10-fache höher als die der α-Säure Humulon. Wobei „Wirksamkeit“ bedeutete, dass Lupulon das Wachstum der Bakterien hemmte, also bakteriostatisch wirkte und weniger antiseptisch, also direkt die Erreger abtötete. Im Zuge dieser Forschungen konnte auch aufgedeckt werden, dass zwischen sogenannten grampositiven Bakterien, zu denen auch Lactobacillus gehörte und gramnegativen Stämmen erhebliche Unterschiede bei der Wirksamkeit der Hopfeninhaltsstoffe bestanden.

Mit diesem Vorwissen nahm Schmid die Fährte auf. Bei seiner Suche konzentrierte er sich auf das Braugewerbe, „da die Personen dieses Standes die sicherste Gewähr für nicht nur regelmäßigen, sondern auch reichlichen Biergenuss boten“. Klang logisch. Konkret fanden die Erhebungen bei 1760 Personen aus mehreren Münchner Brauereien statt. Schmid ermittelte Zahlen von dort üblichen 4-5 Litern Bier pro Person pro Tag. Das löst auch noch Staunen aus, bewies aber, dass man sich im richtigen Forschungsfeld befand. Passend zum Umfang des Bierkonsums zeigten sich bevorzugt Herz-Kreislauferkrankungen unter den Brauereimitarbeitern. Tuberkulose dagegen tauchte nur selten auf, in welchem Stadium auch immer. Bemerkenswert vor allem deshalb, weil zum Vergleich Zahlen aus vielen anderen Gewerben herangezogen wurden – und dort lag durchgehend die TBC-Rate deutlich höher, teilweise um das Sechsfache als im Braugewerbe. Über die US-Forschungen hinausgehend vermutete Schmid nach ersten Experimenten nicht nur Lupulon als Hauptverantwortlichen, sondern auch das erst beim Würzekochen entstehende Isohumulon. Nachfolgende Arbeiten untermauerten Schmids These. Und so äußerte man sich verhalten optimistisch: „Obgleich Lupulon nach dem derzeitigen Stand der Untersuchungen (noch) nicht als Tuberkuloseheilmittel Anwendung finden kann (…) bestehen doch Hoffnungen für eine eventuelle derartige Verwendung.“

Und dann – passierte nichts mehr. Vielleicht beanspruchte nach dem Krieg nun wieder der Braumarkt alle Hopfenkapazitäten, das Wirtschaftswunder machte schließlich Durst. Der wesentlich wahrscheinlichere Grund dürfte gewesen sein, dass mittlerweile genug andere wirksame Arzneimittel gegen TBC auf dem Markt waren. Mittel wie Streptomycin oder Isoniazid und schließlich Ethambutol ab den 1960er Jahren, die man synthetisch herstellen konnte und die vermutlich der Pharmaindustrie auch wesentlich höhere Gewinnmargen bescherten. Beim Hopfen hatte man wohl einfach zu lange gewartet. Auch das bierige Edwil verschwand auf Nimmerwiedersehen in der Versenkung. Die Zeit schien abgelaufen.

Aufgeschnittene Hopfendolde

Eine gewisse Ähnlichkeit zwischen den Lupulindrüsen des Hopfens und den typischen Granulomen der Tuberkulose ist in der Tat vorhanden. Eine Tradition der Tuberkulose-bekämpfung durch Hopfen lässt sich daraus aber noch lange nicht ableiten. Foto: Paul Ehrenreich/Deutsches Hopfenmuseum Wolnzach

Erst einmal. 2021 litten weltweit 10,6 Millionen Menschen an der Tuberkulose, von denen 1,6 Millionen starben. Damit liegt sie an 2. Stelle der tödlichsten Infektionskrankheiten, nur mehr übertroffen von Covid-19. Hauptverbreitungsgebiete sind Indien, China, Zentralafrika, Russland sowie Südostasien. In Europa gilt sie als besiegt. Im Moment. Denn immer mehr der tödlichen Verläufe rühren von der multiresistenten Variante MDR-TB (Multidrug-resistant TB) her, bei der die bisherigen Heilmittel alleine nicht mehr anschlagen. Auf der Suche nach Alternativen entdeckt man nun auch wieder den Hopfen.

Forscherteams aus China und dem Iran kommen zu ähnlichen Ergebnissen wie ihre amerikanischen und deutschen Kollegen rund 70 Jahre zuvor. Erstmals wird auch das Potential des Hopfeninhaltsstoffes Xanthohumol bei der Tuberkulosebekämpfung näher beleuchtet. Eine Forschergruppe aus Wales untersucht die Wirksamkeit von 50 verschiedenen Hopfensorten gegen Mycobacterium bovis, den Erreger der Rindertuberkulose, die auch auf den Menschen übertragen werden kann. Mehr als das Stadium der in-vitro-Analyse wird bisher jedoch immer noch nicht erreicht.

Es bleibt abzuwarten, ob der Hopfen nun endlich auch seinen Weg als Therapeutikum gegen eine der schlimmsten Infektionskrankheiten finden wird.

 

Literatur:

  • Lang, Rudolf (1949): Hefen, die Schöpfer bakterizider Wirkstoffe nach Penicilinart gegen verschiedene Krankheitserreger. Meiningen
  • Lewis, J. C. & Alderton, Gordon & Carson, J. F. & Reynolds, D. M. & Maclay, W. D. (1949): Lupulon and Humulon – Antibiotic Constituents of Hops. From the Western Regional Research Laboratory, Albany, Calif.. In: The Journal of clinical investigation, Jg. 28/1949, H.5, 1. S.918
  • Chin, Y. C. & Anderson, H. H. & Alderton, G. & Lewis, J. C. (1949): Antituberculous Activity and Toxicity of Lupulon for the Mouse. In: Proceedings of the Society for Experimental Biology and Medicine, Jg. 1949, H.70. S.158-162
  • Schmid, Hermann (1951): Statistische Untersuchungen über das Vorkommen der Tuberkulose im Braugewerbe und Vitro-Versuche über die tuberkulosestatische Wirkung einiger Hopfenbitterstoffe. München
  • Erdmann, Walter F. (1951): Lupulon und Humulon, ihre antbakterielle Wirksamkeit und Anwendung bei tuberkulösen Infektionen. In: Die Pharmazie, Jg. 6/1951. S.450
  • Serkani, J. Esmi & Isfahani, B. Nasr & Safaei, H. Gh. & Kasra Kermanshahi, R. & Asghari, Gh. (2012): Evaluation of the effect of Humulus lupulus alcoholic extract on rifampin-sensitive and resistant isolates of Mycobacterium tuberculosis. In: Research in Pharmaceutical Sciences, Jg. 2012, H.November, 7(4). S.235-242. Behnam Rafiee & Davoud Sadeghi & Sepideh Ghani & Nader Mosavari & Shojaat Dashtipour & Seyed Amir Hosseini (2017): Antibacterial Effect of Aqueous and Ethanolic Extracts of Humulus Lupulus on Mycobacterium tuberculosis. In: Qom University of Medical Sciences journal, Jg. 2017, H.11 (8). S.22-28
  • Hai Lou & Fen Zhang & Liqin Lu & Yingying Ding & Xiaohui Hao (2020): Xanthohumol from Humulus lupulus L. potentiates the killing of Mycobacterium tuberculosis and mitigates liver toxicity by the combination of isoniazid in mouse tuberculosis models. In: RSC Advances, Jg. 2020, H.10. S.13223-13231
  • Blaxland, James & Thomas, Richard & Baillie, Leslie (2022): The Antibacterial Effect of Humulus lupulus (Hops) against Mycobacterium bovis BCG. A Promising Alternative in the Fight against Bovine Tuberculosis?. In: Beverages, Jg. 2022, H.8, 4

Die Philosophie des reinen Drahtes

Von Christoph Pinzl

Johann Andreas Schmeller, Hallertauer Sprach-Säulenheiliger, erklärte uns im 3. Theil seines „Bayerischen Wörterbuches“ von 1836:

„Der Strackel = Knüttel, Stock, Prügel zum Stoßen, Schlagen (…) sträckeln = schlagen, stoßen, übermäßig antreiben, abmatten.“

Wer früher in den nassen, kalten Herbsttagen zum Strackelziehen in den Hopfengarten loszog, hatte nicht die Absicht, jemanden zu verprügeln. Der Geschlagene, „Abgemattete“ war er selber. Nur wenig bringt den Geist früherer Hopfenarbeit prägnanter auf den Punkt als das Ausziehen der Drähte aus den geernteten Hopfenreben. Denn um die ging es eigentlich, um die Drähte, für den Strackel, die alte Rebe, interessierte sich niemand.

Nach Einführung der Drahtgerüste ab Ende des 19. Jahrhunderts musste man dem Hopfen Jahr für Jahr neue Kletterhilfen installieren. Nachdem sich Schnüre auf Dauer nicht bewährt hatten, weil zu kompliziert zu befestigen und zu wenig stabil, ging man allmählich zum Draht über. Schwerer, verzinkter Draht, oben mit einem speziellen Haken versehen, mit dem sich dieser „Aufleitdraht“ oben am Hopfengerüst befestigen ließ. Und teuer war er dieser Draht, eine nicht unerhebliche Position in der Kostenbilanz für einen Hopfenbauern. Kein Mensch wäre auf die Idee gekommen, den Draht am Ende wegzuwerfen. Recycling war keine moralische Pflicht, sondern eine ökonomische Notwendigkeit.

Nur wer schon einmal gesehen hat, wie hartnäckig sich eine Hopfenrebe nach monatelanger Kletterei um einen Draht herumgewickelt hat, kann sich ein wenig vorstellen, was es bedeutete, den Draht wieder aus dieser Rebe rausziehen zu müssen. Anders hätte das Ganze aber auch keine Logik gehabt. Eine Rebe die leicht vom Draht rutscht, hätte ja nie die Spitze eines Hopfengartens erreicht. Also war Muskelkraft gefragt. Und Geduld.

Eine der wenigen erhaltenen Aufnahmen zum Drahtausziehen, leider etwas unscharf.

Das passende Gerät hierzu war der Strackelzieher. Eine einfache Eisenkralle mit Griff. Wer den ersten erfunden hat, weiß niemand mehr. In keinem Eisenwarenkatalog dieser Welt hat er jemals Erwähnung gefunden, kein Aufsatz zur Hopfenarbeit hat ihn je beschrieben, kein Agrar-Lehrbuch ihm ein Denkmal gesetzt. Und trotzdem gehörte der Strackelzieher in jedem Hopfenbaubetrieb zur Grundausstattung. Der ein oder andere Hopfenbauer hat seine Ausführung etwas modifiziert. Aber letzten Endes hielten sich die Anpassungen in Grenzen, die Grundform verändert sich kaum.

Was verwundert, denn die Arbeit des Strackelziehens forderte Erleichterungen geradezu heraus. Wenn man alte Hopfenbauern dazu aufforderte, in der Rückschau eine Art Rangliste der einstmals nervigsten Hopfenarbeiten aufzustellen, dann landete das Strackelziehen zuverlässig ganz oben. Das Geziehe, Gerupfe war ja nicht nur überaus anstrengend. Es war eine regelrechte Dreckarbeit. Weil etwas angetrocknete Reben ein wenig leichter rutschten als die frischen und weil das Ganze kein Termingeschäft war, fiel das Entstrackeln in die nassen, kalten Herbstmonate, wenn die anderen Arbeiten schon abgeschlossen waren. Und wenn dann die Rebe endlich herunten war, galt es spezielle Techniken zu entwickeln, damit sich die vielen mittlerweile mehrfach verbogenen Drähte nicht heillos ineinander verwickelten. Man wollte sie ja wiederverwenden. Als besondere Dreingabe zum Aufregen empfahl sich der Drahthaken am oberen Ende, dessen ureigenstes Wesen es ja gerade war, sich an irgendwelchen Drähten festzuhakeln und während der Drahtarbeit somit auch intensiv an den Nerven der Hopfenbauern herumzuzerren. Als es im Depot des Deutschen Hopfenmuseums einst galt, mehrere übereinandergeworfene Drahtrollen samt Haken wieder auseinander zu dröseln, war glücklicherweise niemand anwesend, der die unzähligen zum Himmel gesandten Flüche mitbekommen hätte.

Eine Rolle mit Aufleitdraht und Drahthaken.

Nichts repräsentiert die Ökonomie des bäuerlichen Hopfenbaus früherer Zeiten besser als dieser Arbeitsgang. All das Geschimpfe und Gewerkel spielten keine Rolle. Dahinter verbarg sich nicht nur Sparsamkeit. Der heutzutage so huldvoll beschworene Geist der Nachhaltigkeit steckte in jedem ausgezogenen Draht, in jeder gewickelten Drahtrolle, in jedem Drahtbündel, das man im Frühjahr wieder abrollte und von neuem im Hopfengarten montierte. Der Hopfenbau dieser Zeit zeichnete sich ja gerade dadurch aus, dass er zwar einerseits in die anonymen Märkte internationaler Warengeschäfte und ihrer Kapitalflüsse verflochten war, aber andererseits fest im konservativen Geist des bäuerlichen Wirtschaftens ablief. Wer Strackel zog, war dem Mittelalter näher als der modernen Marktwirtschaft.

Nicht wenige Bauern dachten sich Speziallösungen aus. Pferdekraft kam zum Einsatz, spezielle Montagen an den Gerüstsäulen, Mehrfachauszüge. Findige Schlosser bauten Apparate mit umlaufenden Messer und Handkurbeln. In den 1950ern tauchten sogar motorbetriebene Strackelziehermaschinen auf, zum Antrieb an der Schlepper-Zapfwelle. Im Hopfenmuseum hat sich ein letztes Exemplar erhalten. Viel Verbreitung fanden diese Geräte aber nicht. Zu teuer, zu unzuverlässig, zu aufwändig, zu neumodisch. Die meisten Bauern blieben beim Hand-Strackelziehen.

Bis die Pflückmaschine kam. Dann war sofort Schluss. Denn in der neuen Erntetechnik hatte ein verzinkter Draht mit Haken keinen Platz mehr. Der ramponierte die sensiblen Pflückfinger der teuren Pflückmaschine und einmal versehentlich um die Pflücktrommel gewickelt, konnte er die Erntearbeit für Stunden blockieren. In der Hektik der Erntearbeit nicht mehr tragbar.

„Famos“ hieß dieses Gerät zum Drahtausziehen der Metallwarenfabrik Reichertshofen, am Rand der Hallertau. Ob es auch famos funktionierte, ist nicht bekannt.

Und so war plötzlich Schluss mit nachhaltig, Schluss mit Mehrfachnutzung und bäuerlicher Sparsamkeit. An Stelle des verzinkten trat der dünnere Schwarzdraht, an Stelle des Strackelziehers der Rebenhäcksler. Der hackte alles kurz und klein, egal ob Rebe oder Draht und anschließend landete das Ganze nun im Erdreich des Hopfengartens. Oder auf der Landstraße, zur besonderen Freude von Auto- und Motorradfahrern. „Hopfenspikes“ und ihr Talent zum Reifentöten sind bis heute ein bewährter Aufreger in der herbstlichen Tagespresse der Hopfenregionen.

Warum dann nicht wieder zurück zum Drahtausziehen? Auf so eine Idee käme heute nicht einmal ein Hobby-Bio-Hopfenbauer. Selbst wenn sich irgendwo jemand fände, der sich so einer Arbeit annähme und sei es mit noch so viel maschineller Unterstützung: wer soll das bezahlen? Wer will es überhaupt bezahlen? Kein Hopfenbauer, kein Hopfenhändler, kein Brauer, kein Biertrinker. Ökologie ist halt vor allem auch eine Funktion von Wirtschaftlichkeit.

Zu zweit arbeitete es sich etwas leichter.

Eventuell wäre das Strackelziehen ja mal eine pfiffige Idee für ein Touristikevent in den Spätsommermonaten. Wer am meisten schafft, erhält einen Pokal und steht anschließend in der Zeitung und den sozialen Medien. In der Art. Dazu bräuchte es zwar noch etwas mehr Tourismus in den Hopfenregionen, aber der ließe sich ja vielleicht dadurch steigern. Vermutlich fände aber auch heute als sportive Freizeitaction das Strackelziehen wenig Freunde. Das Märchen von der guten alten Zeit war in den Hopfengebieten noch nie besonders populär. Insofern ist das alles eigentlich sehr authentisch. Und damit wieder voll im Trend.

Europa und der Fortschritt

Von Christoph Pinzl

Nicht einmal 30 Jahre alt waren die Brüder Pierre und André Allaeys-Dupont als sie Anfang der 1950er Jahre von ihrem Vater die Maschinenbaufirma „Allaeys Constructie Werkhuis“ übernahmen. Im flandrischen Poperinge, nicht weit von der französischen Grenze entfernt, hatte Hector Allaeys schon vor dem Krieg Hopfenspritzgeräte und Hopfentrockenanlagen gebaut. Anders als diese fanden die Hopfenpflückmaschinen aus dem Hause Allaeys ab 1957 auch ihren Weg nach Deutschland. Der Landmaschinenhändler Jakob Deml aus Attenkirchen in der Hallertau hatte von den belgischen Konstrukteuren gehört, reiste nach Poperinge und sicherte sich die erste Maschine mit dem Namen „Standard“ für den Betrieb in Deutschland. Sie sollte bei Josef Maier-Krafft in Au i.d. Hallertau ihren Dienst verrichten, der nicht nur Hopfenbauer war, sondern auch Schriftsteller und insofern ein Mann für ungewöhnliche Ansätze. Ähnlich kreativ warb Jakob Deml um weitere Kundschaft für die nicht ganz billige Maschine. Auch er hatte nämlich einen Zweitberuf: Hopfenhändler. Interessierten Pflanzern bot er die „Standard“ in Gegenleistung zu Hopfenlieferverträgen. Das Hopfen-Goldrausch-Jahr 1957 mit Phantasie-Höchstpreisen von bis zu 2000 Mark pro Zentner Hopfen stand als Argumentationshilfe zur Seite.

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Allaeys-Standard-Maschinen treffen 1960 per Eisenbahn in Wolnzach ein.

Im Unterschied zu den englischen Bruff- und Rotobank-Maschinen kamen Allaeys-Modelle komplett per Eisenbahn aus Belgien angefahren, wenn auch in Einzelteile zerlegt. Das nötige Know-How war mit an Bord. Allaeys schickte nämlich seine hauseigenen Monteure gleich mit. Diese übernahmen vor Ort zusammen mit den Helfern der deutschen Vertragshändler Aufbau und Wartung, allen voran Generalvertreter Karl Wallner aus Wolnzach. Die Männer hatten in den Anfangsjahren Enormes zu leisten. Ein Hopfenbauer, der sich zähneknirschend für teures Geld eine solche Maschine angeschafft hatte, forderte namlich, dass sie nun pünktlich zur Ernte auch zuverlässig lief. Wenn nicht, musste Abhilfe her und zwar sofort. Andererseits standen den Allaeys-Brüdern nur die wenigen Erntewochen im Jahr zum Ausprobieren zur Verfügung. Dementsprechend klappte anfangs ganz und gar nicht alles nach Plan. Nachtschichten für die Monteure waren der Normalzustand. Bei Tagesanbruch sollten die Maschinen schließlich wieder brav ihren Dienst verrichteten. In Wolnzach entwickelte sich aus dem deutsch-belgischen Kontakt eine intensive Partnerschaft mit der Stadt Poperinge, die bis heute Bestand hat. Pflückmaschinen ernteten also auch ungeahnte Früchte.

Konstruktionsplan der Reinigung für den Typ Standard

Wie alle Modelle der Anfangsjahre kämpfte auch die „Standard“ damit, dass sie mit ihren Dimensionen eigentlich gerade kein Standard war. Mit ihrem Preis von rund 30.000 Mark, ihren rund 15 Meter Länge samt Reiniger und einem Personalbedarf von 20 Mann oder Frau fiel sie zwar etwas kleiner aus als die riesigen Bruff-Maschinen aus England. Letztlich hatte man sie aber am Markt der vielen kleinen und mittleren bayerischen vorbeientwickelt.

Kein Wunder, dass sich das Allaeys-Nachfolgemodell „Junior“, das 1960 auf den deutschen Markt kam, sofort hervorragend verkaufte. Zum ersten Mal waren hier Pflücker und Reiniger in einer einzigen Einheit integriert –  die erste Kompaktmaschine, die sich am Markt durchsetzte.

Im Herbst 1960 präsentierten die Poperinger dann den endgültigen Quantensprung in Sachen Pflückmaschine. Das Modell „Europa“ gab schon im Namen die Richtung vor. In der belgischen und zugleich europäischen Hauptstadt Brüssel hatte man 1958 mit dem Atomium ein Wahrzeichen für ein Zeitalter gebaut, das sich ganz der Modernisierung, der Rationalität und der Technik verschrieben hatte. Selbstbewusst hatte die Firma Allaeys schon damals mit einem „Standard“-Kleinmodell bei der Weltausstellung in Brüssel teilgenommen. Dieses Modell kann noch heute im Poperinger Hopfenmuseum bestaunt werden. Mit der „Europa“ sollte nun endlich auch bei den Pflückmaschinen Schluss sein mit den alten Zöpfen.

Eine Europa 1963 in der Allaeys-Konstruktionshalle in Poperinge

Ihre wesentlichen Neuerungen waren vor allem der lange Rebenauszugsarm mit automatischem Rebenauswurf und der markante schräge Rebendurchzug. Das und eine Vielzahl weiterer Verbesserungen halfen, bei den Pflückmaschinen endlich das umzusetzen, um was es eigentlich ging: das Personal zu reduzieren. Standen bei einer Bruff noch locker bis zu 50 Helfer/innen um die Maschine, waren nun gerade einmal fünf Personen nötig, um die Maschine zu bedienen, mehr nicht. Als sich herausstellte, dass die „Europa“ die vom Werk angegebenen Leistungen mit bis zu 400 Reben pro Stunde sogar noch überbot, drosselte man bei den ersten Vorführungen kurzerhand die Geschwindigkeit der Maschine, um die anvisierte mittelbäuerlichen Kundschaft nicht zu verschrecken. Das nachfolgende Modell mit dem erneut sprechenden Namen „Compact“ entwickelte sich dann zum Allaeys-Erfolgsmodell schlechthin (mehr hierzu). Generalvertreter Karl Wallner erzählte rückblickend, dass er sich damals kaum auf das Wolnzacher Volksfest traute, um nicht von kaufwilligen Hopfenbauern bestürmt zu werden.

Doch die Poperinger verließ allmählich das Glück. Mit der Firma Wolf im Hallertauer Städtchen Geisenfeld stand ihnen mittlerweile ein Konkurrent gegenüber, dem man auf Dauer nicht gewachsen war. Nach Abflauen des Pflückmaschinengeschäftes stiegen die Brüder Allaeys deshalb in den 1980er Jahren auf den Bau von Autowaschanlagen um. Aber auch hier war trotz guter Technik kein dauerhafter Erfolg beschert. Anfang der 1990er Jahre war es vorbei mit dem traditionsreichen Unternehmen.

Das Pflückmaschinen-Modell im Poperinger Hopfenmuseum

Bei einem letzten Besuch 2002 in Poperinge – sein Bruder André war zu dieser Zeit bereits verstorben – empfingen uns Pierre Allaeys und seine Familie mit großer Herzlichkeit. Als Reminiszenz an alte Zeiten leuchtete noch immer die Metall-Haustür des modern gebauten 1960er-Jahre-Wohnhauses im klassischen Allaeys-Orange. Was sich noch erhalten hatte an Material aus der Zeit der Pflückmaschinen durften wir mitnehmen. Darunter einige der Pläne, die Pierre einst von seinen Maschinen mit der Hand gezeichnet hatte, ganz der Ingenieur alter Schule. Manche dieser Pläne waren über 3 Meter lang. Man kann sie heute im Deutschen Hopfenmuseum in einer Vitrine bewundern. Demnächst wird auch eine der letzten Allaeys-Maschinen, die es noch gibt, im neugebauten Schaudepot zu bestaunen sein. Funktionstüchtig versteht sich.