Nonnenkloster und tauber Hopfen

Ein unter Hopfenkundigen gerne gebrauchter Vergleich soll dem ehemaligen Weihenstephaner Professor Lintner entfahren sein: „Eine Hopfenplantage muss sein wie ein Nonnenkloster, da darf kein Mann hinein“. Wenn der Mensch Pflanzen kultiviert, versucht er nicht nur mittels Maschinen und Chemie das Wachstum in eine genehme Form zu bringen. Er mischt sich sogar in das Geschlechtsleben der Pflanzen ein. Nur weiblicher Hopfen liefert das, wofür man den ganzen Aufwand des Hopfenanbaus überhaupt treibt: Das Lupulin, wertvoller Rohstoff für die Brauwirtschaft. Männlicher Hopfen ist im Hopfenanbau nicht nur überflüssig. Man sieht in ihm sogar einen Schädling, den es zu bekämpfen gilt wie Blattlaus und Rote Spinne. Seit 1956 ist die noch immer gültige „Verordnung über die Bekämpfung wilden Hopfens“ in Kraft. Sie schreibt vor, dass jeder wildwachsende Hopfen in Gemeinden mit Hopfenanbau uneingeschränkt zu roden sei.

Wer über Hopfenanbau redet, meint also nur weiblichen Hopfen. Jedenfalls heutzutage und in Deutschland. Das war aber nicht immer so.

Botanische Anfänge

In den dickleibigen Kräuterbüchern des 16. und 17. Jahrhunderts, zu ihrer Zeit hochgelehrte Nachschlagewerke zu allen Fragen der Botanik und der Medizin, wurden die Geschlechter recht gerne vertauscht. Dolden trägt hier der männliche Hopfen, der weibliche die Rispen. Der sächsische Schulrektor und „Hopfen­­fach­mann“, Johann Anton Fritsch, hatte hierzu eine nette, aber auch ziemlich verdrehte Erklärung parat. In den Kräuterbüchern waren die Bezeichnungen „foem.“ und „mas.“ für weiblich und männlich verwechselt worden. Männlicher Hopfen ist der ohne Ertrag, der „taube“ Hopfen, was auf lateinisch „foemina“ heißt, ergo ist er der „Lupulus foem“. Warum allerdings der weibliche dann ausgerechnet „mas.“ heißen sollte, blieb Lehrer Fritsch in seiner Erklärung schuldig.

Kräuterbuch von Theodorus Zwinger

Der männliche Hopfen ist der taube und deshalb „foemina“. Klar.

Andere wie der Altdorfer Gelehrte Johann Ehinger in seiner lateinischen Doktorarbeit „De Lupulo“ von 1718 ließen den Unterschied gleich ganz weg. Männlichen und weiblichen Hopfen, das gäbe es gar nicht. Oder besser gesagt: Jede Pflanze habe beide Geschlechter in sich und es hänge von verschiedenen Faktoren ab, welches zum Vorschein komme. Der Hopfen schien sich quasi selber zu befruchten.

Geschlechts-Durcheinander hin und her, klar war auf alle Fälle immer, dass man nur den Hopfen anbauen wollte, der die lupulinhaltigen Dolden trug. Das andere Geschlecht interessierte nicht.

Pro und contra

Das änderte sich Anfang des 19. Jahrhunderts. Die Methoden wurden wissenschaftlicher, die Mittel differenzierter. Der Hopfenanbau legte überall in Deutschland zu, die bezahlten Preise ebenso. Männlein und Weiblein konnte allmählich jeder auseinanderhalten. Soweit bestand Einigkeit. Nun begannen aber Auseinandersetzungen darüber, wie mit dem männlichen Hopfen sach- und fachgerecht umzugehen sei. Einigen wie dem Bierbrauer Leopold Limmer in Staffelstein war das erstmal egal. Um Dolden zu erhalten, war kein männlicher Hopfen nötig. Ob man ihn nun im Hopfengarten duldete oder nicht, sollte jeder Hopfenpflanzer selbst entscheiden.

Es gab aber auch kritischere Stimmen. Franz Olbricht, böhmischer Hopfenbauer und Buchautor, erkannte bereits 1835, dass das Lupulin in befruchteten Dolden gröber war als das in unbefruchteten. Außerdem bemerkten kundige Hopfenpflanzer, dass zu viel Männlichkeit im Hopfengarten dem Doldenhopfen zu wenig Platz zur Entwicklung ließ und unnötig Nährstoffe und Licht verschwendete.

Versuchshopfengarten mit männlichem Hopfen

Ein Mann und seine Verhüterlis: damit im Versuchshopfengarten kein Unglück passiert, werden die männlichen Hopfenrispen eingepackt (Aufnahme um 1950).

Doch plötzlich drehte sich die Stimmung. Es war nicht zu übersehen, dass befruchtete Dolden eindeutig mehr Ertrag einbrachten als die unbefruchteten. Und zwar nicht nur, weil die Samenkörner in den Dolden das Gewicht erhöhten. Befruchtete Dolden wurden wesentlich größer, der Stock trug mehr und üppiger. Mancherorts glaubte man, dass eine Befruchtung sich sogar besonders günstig aufs Lupulin auswirkte. Ausgewanderte deutsche Hopfenpflanzer in Australien kamen auf diese Weise auf die Idee, ihren am „Lupulinmangel“ leidenden Hopfen durch den Import von männlichen Pflanzen „qualitativ“ zu steigern. Man empfahl, auf eine gewisse Anzahl weiblicher Stöcke einen männlichen Stock gezielt in den Hopfengarten zu setzen, möglichst noch in Windrichtung, damit auch ja alle Dolden befruchtet würden.

Als leuchtendes Vorbild galt wie so oft in landwirtschaftlichen Fragen dieser Zeit die britische Insel. Deren Hopfenbauern pflegten diese Technik seit langem und sie sollte sich dort bis in die 1980er Jahre halten. Noch heute findet man in englischen Hopfengärten ­– soweit es sie noch gibt ­­- einzelne männliche Pflanzen. Der Hopfen brachte dadurch nicht nur höheren Ertrag, er erwies sich auch als stabiler gegenüber Schädlingsbefall. Qualitätseinbußen beim Brauwert schienen englischen Brauern nichts auszumachen. Ernest Stanley Salmon und Artur Amos, zwei der bedeutendsten Köpfe der britischen Hopfenforschung, versuchten 1908 sogar wissenschaftlich exakt zu beweisen, dass die englischen Hopfensorten eine Befruchtung unbedingt benötigten, sonst wüchsen deren Dolden nicht voll aus.

Kampfansage

Was eigentlich als wissenschaftlicher Diskurs angelegt war, wandelte sich mehr und mehr zur wirtschaftspolitischen Frage. Die Briten sandten mit ihren pro-männlichen Argumenten nämlich auch deutliche Signale an die festländische Hopfenwirtschaft. Schließlich wollte man sich seine traditionelle Anbaukultur nicht so ohne weiteres schlechtreden lassen. Denn in Deutschland war seit Ende des 19. Jahrhunderts eine Kampagne in Gang, die dem männlichen Hopfen radikal zu Leibe rückte. Schon 1870 hatte Garteninspektor Hannemann im schlesischen Proskau bemerkt, dass Hopfen mit Samenkörnern dem Bier einen „widerlich bitteren Geschmack“ verleihe. Zudem weigerte sich die Brauer- und Händlerkundschaft zunehmend, das überflüssige höhere Gewicht des Samenhopfens zu bezahlen.

Unter den Verantwortlichen des deutschen Hopfenbaus war man sich einig – nun müsse gehandelt werden. Aus gutem Grund. Die Goldgräberstimmung der Mitte des 19. Jahrhunderts war dahin, der deutsche Hopfenbau steckte tief in der Krise. Wenn man der Brauereikundschaft noch einigermaßen brauchbare Preise abringen wollte, dann nur durch allerbeste Qualität. Und man beschloss, dass befruchteter Hopfen dieses Gütesiegel nicht trug.

Der belgische Minister für Landwirtschaft ging mit gutem Beispiel voran. Schon 1887 erließ er ein Gesetz, wonach kein männlicher Hopfen mehr in den Hopfengärten gepflanzt werden dürfe. Die Deutschen folgten nach. In der „Versuchs- und Lehranstalt für Brauerei“ in Berlin erbrachte Dr. Theodor Remy die eindeutigen Beweise, dass befruchteter Hopfen von schlechterer Qualität sei als der jungfräulich gebliebene. Alle angeblichen Vorteile wurden widerlegt. Samenhopfen hatte nicht nur schlechtere Bitterwerte, auch die Spindelanteile in der Dolde lagen deutlich höher, die Farbe war bleicher, die Erscheinung flatteriger. Vor allem räumte Remy ein für alle Mal mit der Meinung auf, dass befruchteter Hopfen mehr Ertrag bringe. In Gewicht und Größe ja, in Relation zum Lupulingehalt aber keineswegs.

Hinweisplakat zum männlichen Hopfen

Ein Schädling wie die Blattlaus, da gibt es kein Pardon: Ausrottung!

Auf Remys Untersuchungen wurde direkt reagiert. Der Hallertauer Bezirk Pfaffenhofen a. Ilm ging voran und erließ bereits 1901 eine „Distriktspolizeiliche Vorschrift zur Vernichtung des wilden Hopfens“. Gemeint war damit eigentlich „Vernichtung des männlichen Hopfens.“ Andere Anbaugebiete zogen in den folgenden Jahren nach. Das Regelwerk wurde mehrmals erneuert, bis es schließlich in die bereits erwähnte Verordnung von 1956 einmündete. Ob die Hopfenbauern dieser Aufforderung in aller Sorgfalt Folge leisteten, darf bezweifelt werden. Die Schärfe, mit der bei Zuwiderhandlungen Strafen angedroht wurden, lässt jedenfalls so etwas vermuten.

Fazit

Heute zweifelt kein (deutscher) Hopfenbauer mehr am Sinn dieser Maßnahmen. Hopfen gilt als Pflanze, „welche mit Rücksicht auf die vom Menschen eingeführte Verwendung ihr eigener Feind ist“. Wenn’s nach dem Menschen geht. In Hopfenanbaugebieten sollte es männlichen wie wilden Hopfen heute eigentlich nur mehr in Forschungsinstituten wie in Hüll nahe Wolnzach geben. Da nutzt man ihn zum Beispiel zur Züchtung neuer Sorten. Tatsächlich lässt sich der Hopfen von allen Vorschriften und aller Sorgfalt aber recht wenig beeindrucken. An nahen Auen- und Flusslandschaften beispielsweise an der Donau oder auch im Gebüsch an Waldrändern findet man ihn weiterhin. Und vor allem dort, wo Hopfen vor Jahrhunderten mal heimisch war, braucht man nicht lange nach ausgewilderten Kulturhopfenpflanzen zu suchen. Wer sie findet, kann sich gerne an die Hüller Hopfenforscher/innen wenden.

Schilderbürgerstreiche

Jeder kennt sie, die rechteckigen Autobahnschilder, in sattem, erdigem Braun und weißer Schrift gehalten. „Touristische Unterrichtungstafeln“ heißen sie offiziell. Mit wechselhafter grafischer Kunstfertigkeit weisen sie uns auf die landschaftlichen Leckerbissen der Regionen hin, durch die wir gerade durchbrettern. Man/frau nimmt sie wahr, aber ob das Ganze wirklich was bringt?

Als unser Hopfenmuseum vor 17 Jahren öffnete, waren wir der festen Überzeugung: selbstverständlich bringt´s so eine touristische Unterrichtungstafel. Schließlich rauschen auf der A 9, einer der meistbefahrenen Autobahnen Europas, jährlich Millionen von Fahrzeugen von Nord nach Süd und umgekehrt. Wenn sich nur ein winziger Teil der Fahrzeuginsassen zu einem kleinen touristischen Schlenker nach Wolnzach überreden ließe, sollte dies die Besucherzahlen rapide nach oben heben.

Und bewarben uns um eine Schilderaufstellung kurz vor dem Dreieck Holledau, gleich nach dem Schild zum „Hopfenland Hallertau“. Naiv wie wir waren.

Denn: Auf der A 9 ganz sicher nicht. Wolnzach hat dort ja gar keine Ausfahrt. Die braucht es aber, sonst kein brauner Wegweiser. Ein Autobahndreieck gilt nicht als Ausfahrt, auch wenn, wie in unserem Fall, dick „Wolnzach“ auf den in diesem Fall blauen Schildern steht. Gilt nicht. Und überhaupt gibt es vor Autobahndreiecken ganz grundsätzlich keine braunen Schilder. So etwas mindert die Aufmerksamkeit des Fahrzeugführers, die an solchen Stellen ganz besonders wichtig ist, noch viel wichtiger als eh schon auf der Autobahn. Pech gehabt.

Fußballstadien können auch einen sinnvollen Beitrag zum gesellschaftlichen Leben leisten (Originalfoto: Wikipedia – 2015 Michael 2015 – Bearbeitung: Deutsches Hopfenmuseum).

Kein Schilderwald

Nun sind die braunen Schilder tatsächlich schon ein Kompromiss. Eigentlich wollen Autobahnverantwortliche ihre grauen Fahrbänder höchstens von Straßenbegleitgrün, aber keinesfalls von Hinweistafeln welcher Couleur auch immer begleiten lassen. Ob dabei mehr der ungetrübte Genuss weiter Fluren oder eher die unerwünschte Beeinträchtigung der Fahrerkonzentration im Fokus steht, sei dahingestellt. Eine gewisse Dankbarkeit lässt sich nicht leugnen, dass nicht jeder mehr oder weniger global denkende Burgerbrater seine farbenfrohen Botschaften alle paar Kilometer ins Blickfeld rücken darf.

Aber im Hopfenmuseum gibt es keine Burger. Wir haben ehrliche agrarkulturelle Botschaften zu vermitteln, die jeden betreffen, der sich abends gerne eine Halbe gönnt. Egal, wo er oder sie in der Welt zuhause ist. Und irgendwann mal auf dieser Autobahn fährt.

Da half es wenig, dass als Trostpflasterl das Schild auf der A 93 schnell genehmigt und auch aufgestellt war. Die A 93, die ja wirklich eine Wolnzach-Ausfahrt hat. Aber auf dieser A 93 fährt ja nicht die ganze Welt, höchstens die östliche. Eindeutig zu wenig für unseren gesamteuropäischen Ehrgeiz. Der Frust war groß.

Doch wie es der Zufall will, ergab es sich zu dieser Zeit, dass das „Jetzt red i“-Team des Bayerischen Rundfunks sich anschickte, auch einmal das Hopfenland aufzusuchen, und zwar gleich mittenrein, in die Metropole, nach Wolnzach. Wer es nicht kennt: „Jetzt red i“ ist ein spezielles Format des Mitmachfernsehens. Der Bürger und die Bürgerin dürfen live während der Sendung kommunizieren und sich mit seinen/ihren mal mehr mal weniger eigenwilligen Anliegen an die (Fernseh-)Öffentlichkeit wenden. Auch wenn erstaunlich viel in dieser Sendung dem Zufall überlassen wird, läuft trotzdem nicht alles ganz so spontan ab. Üblicherweise sucht sich das Team vorab eine Handvoll interessanter Akteure vor Ort zusammen. Und als das Angebot an den Museumsleiter herangetragen wurde, gab es kein langes Zögern, mit dem Autobahnschild-Memorandum im Fernsehen aufzutreten.

Der jugendliche Autor vor seinem Schilderwerk (Foto und Montage: Paul Ehrenreich).

Um das Ganze etwas launiger zu gestalten (schließlich ging es bei der Sache ja irgendwie auch um Bier), wurden vorab zwei halbernst gemeinte Schilder gebastelt und in der Live-Sendung hochgehalten, in der Hoffnung, das geneigte Auditorium umso leichter gewinnen zu können. Ob es nun wirklich die kunstvollen Tintenstrahldrucke waren oder doch eher die Tatsache, dass das Schilder-Anliegen unter all den anderen an diesem Abend das am leichtesten zu verwirklichende war (irgendwas Positives muss ja rauskommen) – schon eine Woche nach Sendeschluss jedenfalls flatterte die frohe Botschaft ins Büro, dass man sich ministeriell beraten habe und dem Schild auf der A 9 nun doch nichts mehr im Wege stehe.

Folgeschilder

Allerdings nicht wie angedacht vor dem Autobahndreieck. Was einmal Eingang in ein deutsches Regelwerk (vermutlich das Bundesfernstraßengesetz) gefunden hat, kann auch ein noch so gelungener Fernseh-Auftritt nicht ins Wanken bringen. Soweit kommt´s noch. Nein, die braunen Hinweisgeber sollten VOR der jeweiligen Ausfahrt VOR dem Dreieck aufgestellt werden, so lautete die pfiffige Lösung. Von Norden her also kurz vor Langenbruck, von Süden kurz vor Schweitenkirchen/Pfaffenhofen.

Und damit nicht genug. So eine braune Autobahntafel, das ist seitdem bekannt, benötigt nach der Autobahnabfahrt immer eine sogenannte Folgebeschilderung. Nicht dass der kulturwillige Autofahrer zwar erstmal runterfährt, dann aber bald nicht mehr weiterweiß zur gesuchten Destination, entmutigt wieder umdreht oder noch schlimmer, in irgendeinem Café am Wegesrand eine Pause einlegt.

Nun ist es freilich so, dass es weder von Langenbruck noch von Schweitenkirchen auf allzu direktem Weg nach Wolnzach geht. Also musste zuerst in eingehenden Sitzungen eine passende Route ausgetüftelt respektive folgebeschildert werden. Was dazu führte, dass sich heute mitten in der Hallertauer Landschaft kurz vor Sünzhausen (Sinzhau´n) ein Hinweisschild zum Deutschen Hopfenmuseum zeigt und man/frau auf diesem Weg auch gleich die Schönheiten von Dürnzhausen (Dirnzhau´n), Geroldshausen (Geratshau´n) und Haushausen (Haushau´n) kennenlernt. Auf der anderen Seite kommen dadurch Fahlenbach, Königsfeld und Starzhausen (Stazhau´n) zu unerwarteter Durchreisefrequenz.

Oder eben auch nicht. Denn kein noch so pausenwilliger Durchfahrer wird auf die seltsame Idee kommen, bloß weil ihm irgendwo ein braunes Schild ins Sichtfeld rückt, bei der nächstbesten Ausfahrt einfach mal rauszufahren. Steht ja nirgends auf der Autobahn, dass es hier zum Hopfenmuseum geht. Und wer weiß schon was von Folgeschildern. Und selbst wenn, jedes Standard-Navi leitet zuverlässig auf direktem Weg zum gewünschten Museumsziel. Auf der A 9 Richtung Nürnberg führt der nun mal nicht über Dirnzhau´n, sondern ­­– eben.

Das etwas schlichtere Hinweisschild auf der A 93

Ach was wären Deutschland und Bayern ohne ihre Bürokratie und die speziellen Mittel und Wege, ihr auszukommen. Und sei es mittels Folgebeschilderung. Übrigens hat der braune Hinweis auf der A 9 in der Tat enorme Wirkung entfaltet. Umfragen unter unangemeldeten Besuchern nach ihrer Motivation, im Deutschen Hopfenmuseum vorbeizuschauen, setzten das erdige Schild ganz oben auf die Anlassliste. Und auch der Landstraßenpendler aus Freising wird seither kurz vor der Autobahnauffahrt stets daran erinnert, dass er an einem der nächsten Sonntage seinen freien Nachmittag auch in Wolnzach verbringen könnte. Über die Folgsamkeit der Pendler und den Folgeerfolg dieser Folgebeschilderungsfolge wissen wir bisher zwar noch nichts Exaktes. Aber wir arbeiten daran.

Der Haken an der Sache

Viele Hopfenbauern schwören heutzutage darauf, den Aufleitdraht, an dem der Hopfen nach oben wächst, bereits im Herbst aufzuhängen. Mag sein, dass sich mit den Winterstürmen ein paar der Drähte wieder am Boden ablösen. Aber das bisschen Nacharbeiten im Frühjahr wiegt der Vorteil, dass man die ganze Arbeit schon hinter sich hat, leicht auf. „Arbeitsspitze brechen“ nennen das die Agrarfachleute.

Früher wäre so etwas nicht möglich gewesen. Denn der Draht war noch nicht fest am oberen Laufdraht angeknüpft. An jedem einzelnen Aufleitdraht war oben ein Drahthaken montiert und diesen Drahthaken musste man am Gerüst einhängen. Diese Technik verbreitete sich ungefähr ab der Zeit nach dem 1. Weltkrieg, beim einen Bauern früher, beim anderen mit etwas Verzögerung. Draht löste damals die bis dahin übliche Schnur ab, den „Spagat“ wie man sie in der Hallertau nannte. Ein wesentliches Argument für den Umstieg auf die neue Technik dürfte gewesen sein, dass sich der Draht im Unterschied zur Schnur mehrfach nutzen ließ. Dazu musste er allerdings Wachstum und Ernte der Hopfenrebe unbeschädigt überstehen und das ging nur, wenn sich Haken, Draht und Hopfenrebe am Schluss bei der Ernte relativ einfach wieder vom Gerüst abnehmen ließen. Das war quasi der Haken an der Sache. Genau derselbe war dann ein wesentlicher Baustein für das Drahtrecycling.

Weil es vor den 1950er Jahren nur auf den wenigsten Höfen Traktoren gab, somit auch noch keine Kanzeln mit denen man sich nach oben befördern lassen konnte, hatte das Drahtaufhängen zwangsläufig vom Boden aus zu erfolgen. Dazu brauchte es eine lange Stange, ob aus Bambus, Metall oder irgendeiner Holzsorte, entschied jeder Hopfenbauer nach individuellem Geschmack. Am oberen Ende der Stange steckte eine Vorrichtung, an der sich der Haken samt Draht zwar so stabil einhängen ließ, dass er beim Hochwuchten nicht sofort wieder herunterfiel, aber auch nur so lose verbunden, dass der Draht sich oben am Laufdraht relativ leicht einhängen ließ.

War bis dahin beim Montieren der Spagatschnur Wurfgenauigkeit gefragt, so brauchte es ab jetzt ein gutes Auge, damit der Haken sein Ziel oben nicht verfehlte. Wer allerdings einige tausend Stöcke Hopfen sein eigen nannte, schaffte es irgendwann auch ohne Hinsehen, so jedenfalls schilderten es alte Hopfenbauern in der Rückschau. Nach stundenlangem Starren ins Sonnenlicht und dem richtigen Grad an Genickschmerzen in jedem Fall ein Vorteil. Wer es sich leisten konnte, vergab die Arbeit an Drahtaufhänge-Spezialisten, die sich nach Menge bezahlen ließen.

Draht aufhängen im Hopfengarten

Mit dem Aufkommen der Hopfenpflückmaschinen ab Mitte der 1950er Jahre war dann bald Schluss mit dieser Methode. Für die empfindlichen Pflückfinger und Pflücktrommeln in den Pflückmaschinen waren die Haken Gift. Und auch wenn sie anfangs noch mühselig vor der Ernte abgezwickt wurden, damit man sie später wieder am Draht anknüpfen konnte, so stellten sich die meisten Bauern doch schnell um: auf leichteren Draht, den man oben mit einer Schlaufe festknüpfte, bei der Ernte abriss und anschließend wegwarf. So wie es heute noch üblich ist.

In unserem Museums-Hopfengarten haben wir die alte Technik aufleben lassen.

Compact-Klasse

In Museumskreisen gibt es den Begriff des „ikonischen Exponates“. Der Raumanzug, mit dem Neil Armstrong seinen wichtigen Schritt für die Menschheit ausführte, Alan Turings Enigma-Entschlüsselungsmaschine, Lenins Eisenbahnwaggon, mit dem er zur Russischen Revolution fuhr. In der Art. Welthistorisch knapp darunter läge die erste Pflückmaschine, die im deutschen Hopfenbau ihren Dienst verrichtete, die Bruff D, Baujahr 1955. Würde sie unserem Museum angeboten, hätten auch wir, Wolnzach, ein Problem. Wohin damit? Die Bruff war ein Monster von 25 Metern Länge und 8 Metern Höhe. Gutsbesitzer Otto Höfter musste im kleinen Hallertauer Weiler Neuhausen eigens eine neue Halle errichten, um sie unterzubringen.

Zum Glück muss man fast sagen, gibt es die Maschine nicht mehr. Aber Pflückmaschinen stellen trotzdem für ein Hopfenmuseum ein gewisses Problem dar. Sie markieren einen wesentlichen Umbruch in der Geschichte des Hopfenbaus und sind deshalb ein unverzichtbarer Bestandteil des Sammlungskonzeptes. Aber anders als Pflückkörbe oder Metzenzeichen beanspruchen sie viel Platz, sehr viel Platz. Und nicht nur das. Als das Deutsche Hopfenmuseum einst aufgebaut wurde, musste die in unserer Dauerausstellung gezeigte Wolf-Pflückmaschine sehr früh sehr exakt platziert werden, damit die nötigen Fundamente für ihr hohes Gewicht rechtzeitig angefertigt werden konnten. Und die Maschine musste auch schon lange vor Bauende ins Gebäude gestellt werden. Keine Tür im Museum wäre groß genug gewesen, um sie hindurch zu befördern. Also musste sie durchs (noch unverglaste) Panoramafenster.

Allaeys Compact Pflückmaschine

Eine nagelneue Allaeys Compact, um 1962, in der Fertigungshalle der Firma Allaeys in Poperinge.

Pflückmaschinen sind in gewissem Maße auch der Grund dafür, dass das Deutsche Hopfenmuseum in Kürze ein neues Schaudepot eröffnen darf. Seit Jahren war das alte Depot „Rennerstadel“ zu klein geworden. Vor allem für Pflückmaschinen war längst kein Platz mehr. Schon 2013 musste eine frisch erworbene Themilco Hopmatic, ein seltenes Stück aus den 1960ern, auf das wir eher zufällig gestoßen waren, draußen vor der Tür unters Vordach gestellt werden. Notdürftig mit Plane verkleidet hat sie seither Wind und Wetter getrotzt.

Nicht besser erging es der Maschine, nach der wir, anders als nach der Themilco, seit Jahren intensiv Ausschau gehalten hatten. Die Firma Allaeys, genau wie Milleville-Themilco einst im flandrischen Poperinge beheimatet, lieferte seit Mitte der 1950er Jahre höchst erfolgreich ihre Pflückmaschinen an den deutschen Hopfenbau. Technische Marksteine wie schräger Rebendurchzug oder der lange Rebenauszugsarm gehen auf die Brüder Allaeys zurück. Ihre wohl wichtigste Erfindung war die Kompakt-Pflückmaschine. Solche Maschinen waren, anders als die Bruffs, Rotobanks und auch die ersten Allaeys-Typen, keine hallenumspannenden Ungetüme mehr, die auch den reichsten Hopfenbauern zum armen Schlucker degradierten. Statt 60.000 standen nur mehr knapp 20.000 Mark zu Buche, statt 8 x 25 Metern Höhe x Länge nur mehr 3,50 x 3,50 Meter, statt 50 Mann Personal nur mehr 3.

Nachdem Allaeys 1959 die „Junior“ eingeführt hatte, legte man kurz darauf mit einem Modell mit dem sprechenden Namen „Compact“ nach. Anders als bisher war jetzt bereits der schräge Einzug samt langem Einzugsarm verbaut. Als die Nr. 1 der Baureihe 1961 zur Probevorführung in der Hallertau lief, wechselten sofort die ersten sieben Stück den Besitzer. In den folgenden Jahren entwickelte sich die „Compact“ mit 464 verkauften Maschinen zum erfolgreichsten Allaeys-Typ in ganz Deutschland. Obwohl sie aus dem Ausland stammte und anders als die englischen Maschinen, nie in Deutschland in Lizenz nachgebaut wurde.

Allaeys Compact Pflückmaschinen

Allaeys Compact Maschinen, bereit zur Auslieferung in den deutschen Hopfenbau.

Unsere „Compact“ entdeckte um 2017 Pflückmaschinenfachmann Peter Mayer-Diener am Ortsrand von Au i.d. Hallertau. Seit bald 20 Jahren stand sie dort verlassen herum, im typischen Pflückmaschinen-Stadel, den die Vorbesitzer dort einst in die grüne Wiese gestellt hatten. Hopfenbauer und Wagnermeister Johann Schreck und seine Frau Maria hatten sie 1962 zusammen mit dem Auer Hopfenpflanzer Anton Buchberger gekauft, beim Landmaschinenhändler Schleibinger in Osterwaal, nachdem man die Anbaufläche 1960 auf 6000 Hopfenstöcke erweitert hatte, also auf ungefähr 1,5 Hektar. Die gemeinsame Halle für die Maschine stand jeweils exakt zur Hälfte auf den Grundstücken der Familien Schreck und Buchberger. 1974 heiratete Tochter Christl den Landmaschinenmechaniker Erich Heinzmann und führte den Hof in unveränderter Größenordnung weiter. Bis 1990 dann die Allaeys Compact ihre letzten Reben pflückte. Die Hopfenstöcke wurden gerodet, der Ackergrund verpachtet. Und um die „Compact“ wurde es still. Bis zur Wiederentdeckung.

Nachdem man sich mit den Vorbesitzern einig geworden war, brachten Mitglieder des Hopfenmuseums-Vereins mit Unterstützung des viel zu früh verstorbenen Maschinenfachmanns Walter Reith die Maschine nach Wolnzach. Eine Besonderheit war neben ihrer hervorragenden Zustand ihr fast unveränderter Originalbauweise. Leider musste auch dieses Schmuckstück jahrelang im Freien herumstehen und bot in dieser Zeit zahlreichen Singvögeln und Tauben Unterschlupf. Mit der Fertigstellung unseres neuen Schaudepots haben fleißige Vereinsmitglieder nun viel Freizeit geopfert, die Maschine gesäubert und schließlich wieder in Betrieb genommen. Im neuen Depot wartet sie nun auf Besucher. Wir hoffen, dass es im Sommer soweit ist und wir die Maschine vorführen können.

 

Hopfendämmerung

Westlich von Nürnberg weiter auf der A73, die dann zur Pseudoautobahn B8 wird, bei Langenzenn raus und schon ist man da. Weiter bis Neustadt, dann rechts über Uehlfeld und Lonnerstadt nach Höchstadt. Nichts deutet mehr darauf hin, dass hier vor gut 100 Jahren eines der wichtigsten Hopfenanbaugebiete von ganz Deutschland zu finden war. Aischgrund. Ein passender Name, jedenfalls für die idyllische, flache Landschaft entlang des Flüsschens Aisch.

Für das Hopfengebiet nicht mehr ganz so einleuchtend. Denn als man Ende der 1920er Jahre die Grenzen des Aischgründer Hopfenbaus festlegte, wollte man große Stücke der Flussregion im Nordosten und vor allem im Süden und Westen nicht dabeihaben. Andererseits reichte der Aischgrund nun plötzlich im Norden bis weit ins ehemalige Fürstbistum Bamberg und schloss im Süden Orte wie Markt Erlbach oder Langenzenn mit ein, die geographisch mit der Aisch eigentlich gar nichts zu tun hatten.

Wie überall in Bayern erfolgte diese Festlegung 1928 im Rahmen des „Hopfenherkunftsgesetzes“. Erst ab diesem Zeitpunkt war gesetzlich geregelt, ob und unter welchem regionalen Siegel ein Hopfenbauer seine Ware zu vermarkten hatte: Hallertauer Hopfen, Spalter Hopfen, Aischgründer Hopfen. Pure staatlich gelenkte Markenpolitik. Wer Hopfen anbauen wollte, aber außerhalb der Grenzen eines Anbaugebietes wohnte, konnte höchstens noch versuchen, eine lokale Kleinbrauerei direkt zu beliefern. Mit dem großen, internationalen Geschäft war Schluss. Klar, dass deshalb im Vorfeld der Gesetzesformulierung alle möglichen Orte versuchten, mit dazuzugehören. Egal, ob man geographisch eigentlich gar nicht dazu passte wie im Fall von Langenzenn oder ob man politisch aus einer ganz anderen Vergangenheit stammte wie das würzburgische Schlüsselfeld.

Hopfenanbaugebiet Aischgrund, 1930

Wie überall in Deutschland gab es auch im Aischgrund seit dem Mittelalter Hopfen. Wer  Bier brauen wollte, brauchte Hopfen und den holte man nur ungern von weit her. Von Anbaugebieten ließ sich damals noch nirgends sprechen.

Nach dem 30-jährigen Krieg versuchten dann die jeweiligen Landesfürsten ihren Untertanen den Anbau von Hopfen schmackhaft zu machen. Im Aischgrund waren das einerseits die Fürstbischöfe von Bamberg, andererseits die Markgrafen von Bayreuth bzw. Ansbach. Wer sich für den Hopfen entschied, bekam niedrigere Steuern, günstige Hopfenstangen, eine Urkunde oder sogar Geldpreise.

Mehr noch als solche hochherrschaftlichen Gunstbeweise war es dann auch im Aischgrund die zunehmende Industrialisierung und vor allem der Bierboom des 19. Jahrhunderts, der den Hopfenbau wirklich in Schwung brachte. Um 1830 baute man rund um Neustadt, Höchstadt und Langenzenn mehr Hopfen an, als zur gleichen Zeit in der Hallertau, die ja auch gerade erst am Wachsen und Werden war. Als man 1858 beschloss, das Schwefelverbot für Hopfen zuerst in Mittelfranken und erst vier Jahre später in ganz Bayern aufzuheben, geriet die ganze Region endgültig in den Sog des Hopfen-Goldrausches. Damit waren die letzten Schranken für den internationalen Hopfenhandel gefallen. Wenn man sich allerdings auf der Landkarte anschaut, wo überall damals Hopfen angebaut wurde, konnte man schon fast vom einem Anbaugebiet Mittelfranken reden, das mehr oder minder übergangslos in die altbayerische Hallertau mündete. Von Dachau bis Bamberg, von Ansbach bis Amberg wuchs der Hopfen. Die Zentren hießen Spalt, Hersbruck, Hallertau und – Aischgrund. Noch 1905, als der Boom längst schon wieder passé war, rangierte Neustadt an der Aisch mit sagenhaften 380 ha Hopfen auf Platz 1 aller Hopfenbaugemeinden, weit vor Spalt mit 270 und Wolnzach mit 262 Hektar. Wenn man so will, lag hier der Nabel des deutschen Hopfenbaus.

Zwangsläufig entwickelte sich eine eigene Anbaukultur. Es gab eine eigene Aischgründer Hopfensorte, den Aischgründer Späthopfen. Ein findiger Konstrukteur namens Johann Gebhard aus Neustadt entwickelte ein spezielles Aischgründer Hopfengerüst, das sich überall verbreitete. Die Dächer der Aischgründer Wohnhäuser und Scheunen erhielten „Hopfengauben“, eine Art Lüftungsdachluken, damit sich der vielen Hopfen besser trocknen ließ.

Modell einer Aischgründer Gerüstanlage, um 1930

Vielleicht der wichtigste Joker beim Kampf um Marktanteile lag in der engen Verbindung der Region mit dem Hopfenhandel. Außerhalb fränkischer Städte wie Nürnberg, Würzburg oder auch Neustadt, aus denen sie im Spätmittelalter vertrieben worden waren, hatten sich in den Landgemeinden des Aischgrundes viele jüdische Familien niedergelassen, geduldet von jeweiligen Landesfürsten, für deren Gunst sie natürlich einen gehörigen Obulus zu zahlen hatten. Als gegen Ende des 18. Jahrhunderts der Hopfenbau in Schwung kam, nutzten viele jüdische Gewerbetreibende die Gunst der Stunde. Anfangs noch zu Fuß unterwegs mit der Krackse auf dem Rücken, bald jedoch schon als etablierte Handelsunternehmen, kauften sie den Aischgründer Hopfen, den sie ja aus nächster Nähe kannten, von den Bauern auf und lieferten ihn zu den Brauern in ganz Deutschland, später in die ganze Welt. Als ab Mitte des 19. Jahrhunderts immer mehr jüdische Familien in die nahegelegenen Städte umsiedelten, entwickelten sich Bamberg und vor allem Nürnberg zu den wichtigsten Handelszentren für Hopfenbau auf der ganzen Welt. Genau dazwischen lag der Aischgrund. Viele der ehemaligen Kleinhändler wandelten sich dort zu regelrechten global playern des internationalen Hopfenhandels.

Beispiele gibt es zuhauf. Ein Mann wie Gustav Buxbaum, 1839 in Vestenbergsgreuth geboren, baute in Bamberg nicht nur ein großes Hopfenhandelshaus auf. Als Mitbegründer von Epple & Buxbaum schuf er später eines der wichtigsten Landmaschinenunternehmen im ganzen deutschen Reich. Joseph Kohn, Sohn des Hopfenhändlers Mayer Kohn aus Markt Erlbach, war der erste jüdische Bürger, der sich 1850 wieder in Nürnberg niederlassen durfte. Das Bankhaus Kohn entwickelte sich später zum größten privaten Bankhaus Bayerns. Marx Tuchmann, Hopfenhändler aus Uehlfeld, leitete seinen deutschen Namen aus seinem Nebenberuf im Hopfentuchhandel ab. Sein Sohn Philipp betrieb  später ein florierendes Hopfenhandelsgeschäft in Nürnberg, später dann sogar in Dessau. Manche wie die Händlerfamilien Uhlfelder oder Erlbacher verewigten ihre Herkunft gleich im Nachnamen. Die Reihe ließe sich beliebig fortsetzen.

Die Familie Tuchmann war einst von Uehlfeld nach Nürnberg gezogen.

Der Erfolg scheint den Aischgründern letzten Endes aber auch zum Verhängnis geworden zu sein. 1889 produzierte man in Deutschland so viel Hopfen wie erst 100 Jahre später wieder. Zwangsläufig brachen die Hopfenpreise massiv ein. Als Weg aus der Krise riefen die staatlichen Stellen den Qualitäts-Hopfenbau aus. Moderne Anbautechnik, einheitliche Sorten, Pflanzenschutz, saubere Herkunftsbezeichnung, all das stand jetzt hoch im Kurs. Die Aischgründer suchten unter anderem ihr Heil darin, sich beim mittlerweile erfolgreicheren Konkurrenten in der Hallertau die Dinge ein wenig abzuschauen. Aufbereitungsanstalten nach Hallertauer Vorbild, Gerüstanlagen aus der Hallertau und vor allem – der Hallertauer Hopfen selbst. Ende der 1920er bestand der Aischgründer Hopfen zu 5/6 aus der Sorte Hallertauer Mittelfrüh, die man sich dort besorgt hatte.

Doch das Ende ließ sich auch so nicht aufhalten. Nach dem Zusammenbruch im 1. Weltkrieg kam der Anbau im Aischgrund nicht mehr richtig auf die Füße. Für eine konsequente Modernisierung fehlten den Bauern die Betriebsgrößen und das nötige Kapital. Der Einfluss der Bamberger und Nürnberger Händler war massiv zurückgegangen. Aischgründer Hopfen geriet immer mehr in Verruf. Anbauflächen und Erträge sackten zusammen.

Der Beginn der nationalsozialistischen Herrschaft läutete dann endgültig den Niedergang ein. Im zackig-militaristischen Ton der neuen Machthaber führte nun das Aischgründer Hopfenanbaugebiet „einen harten und schweren Kampf um seine Lebensberechtigung“ und der Aischgrund wurde zum „kranken Mann (…) des gesamten deutschen Hopfenbaus“ stilisiert. Als dann 1942 die Kriegswirtschaft auf Hochtouren lief, entzog man dem Aischgrund schlichtweg die Erlaubnis zum Hopfenbau. Nach dem Krieg kehren zwar ein paar Bauern noch einmal zum Hopfen zurück, aber mehr als einen Anbau für lokale Kleinbrauer schaffte der Aischgrund nicht mehr. Irgendwann hörte auch der letzte Kleinbauer sang- und klanglos auf.

Neustadt an der Aisch, um 1865 (Foto: Dr. Wolfgang Mück, Neustadt a.d. Aisch)

Trotzdem erstaunt es, wie radikal der Hopfen inzwischen aus der Landschaft verschwunden ist. Hin und wieder stößt man an Bachläufen oder Waldrändern auf ausgewilderte Hopfenreben. Wer mit wachen Augen über die Dörfer fährt, entdeckt noch an dem einen oder anderen  Bauernhaus eine Hopfengaube. Aber viel mehr findet sich nicht mehr. Kein noch so kleines Heimatmuseum hat sich der Thematik angenommen, nirgends eine Sammlung alter Geräte, in den lokalen Archiven lagern höchstens ein paar alte Fotos, in den lokalen Heimatchroniken hier und da der Holzstich einer Ortsansicht, auf dem auch ein paar Hopfenstangen abgebildet sind. Das einzige Hopfengebäude im ganzen Gäu, das man unter Denkmalschutz gestellt hat, führt ein trauriges Dasein als zugemülltes, fensterloses Gerippe, dem man an jeder Ecke ansieht, dass sein neuer Besitzer kaum erwarten kann, wann es endlich in sich zusammenfällt.

Fast vollständig verschwunden sind die Spuren der jüdischen Hopfenhändler. Seit einigen Jahren haben sich engagierte Heimatforscher der Geschichte der jüdischen Gemeinden im Aischgrund angenommen, der Hopfen spielt dabei aber zwangsläufig nur eine kleine Nebenrolle. Auf den verbliebenen jüdischen Friedhöfen steht noch der ein oder andere Grabstein, dessen eingravierter Nachname sich mit einer Hopfenhändlerfamilie in Verbindung bringen lässt.

Vom einstigen Glanz des Aischgründer Hopfens zeugt noch manch prächtiges altes Haus, vor allem natürlich in Neustadt an der Aisch. Ohne den einstigen Erfolg des Hopfens wäre es wohl nie erbaut worden. Im Lauf der Zeit wird aber auch das Wissen darüber verblasst sein.

Titelbild: Alte Hopfenscheune mit Gauben in Gutenstetten

Obermünchener Geschichten

Fotografieren ist und bleibt eine Kunst, auch wenn heute der schnelle Schuss aus dem Mobiltelefon den Aufwand etwas verringert hat. Als dieses Bild entstand, lagen die Dinge noch ganz anders.

Als sich im Spätsommer 1931 der Herr Landesinspektor für den Hopfenbau, Hugo Hampp, zu einem Besuch an den östlichen Rand der Hallertau aufmachte, hatte er wie immer seine gesamte Fotoausrüstung im Gepäck. Hampp war zwar Agrarfachmann und kein ausgebildeter Fotograf. Trotzdem brachte er es im Umgang mit der Kamera zu einer außergewöhnlichen Meisterschaft. Für Hampp war das Fotografieren berufliche Notwendigkeit und Passion zugleich. Er wurde zu einem der wichtigsten Chronisten der Hallertauer Hopfenbaugeschichte.

Obermünchen mit seinen rund 100 Einwohnern war zu dieser Zeit noch eine eigenständige Gemeinde. Heute ist es ein Ortsteil von Obersüßbach. Josef Radlmeier war der Besitzer von Haus Nr. 24, nebenbei Gastwirt und baute knappe zwei Hektar Hopfen an. Das wäre für heutige Maßstäbe ein Witz, aber damals gehörte er zu den größeren Hopfenbauern in der Hallertau und  war der größte in seiner Gemeinde. Seine Hopfenzupfer konnte er dementsprechend nicht mehr nur aus Dienstboten oder Nachbarn rekrutieren. Ob sie wie so viele der Erntehelfer damals aus dem Bayerischen Wald stammten, aus der Oberpfalz oder woher sonst, wissen wir nicht mehr.

Bemerkenswert an Hampps Fotoleidenschaft war, dass er viele seiner Motive mit der Großformatkamera einfing. Einige seiner Original-Negative befinden sich heute in der Sammlung des Deutschen Hopfenmuseums. Auch vom Bild aus Obermünchen blieb das Negativ im Format 9 x 12 cm erhalten. Hampp wird dafür mit ziemlicher Sicherheit mit dem Stativ gearbeitet haben, für den schnellen Schuss aus der Hüfte war seine Kamera viel zu groß.

Umso erstaunlicher ist die Stimmung, die er für die Ewigkeit festhielt. Üblicherweise fuhren professionelle Fotografen aus den nahegelegenen Märkten oder Städten in die Hopfengärten. Ihre Gruppenbilder funktionierten ein bisschen wie Klassenfotos. Ein Erinnerungsbild an besondere Zeiten, jeder auf dem Bild galt als potentieller Kunde, je mehr Leute auf dem Bild, umso besser. Bis alles arrangiert war, jeder am richtigen Fleck, in der richtigen Pose, niemanden verdeckte, die Augen offen, den Mund zu, konnte es dauern. Heraus kam zwar ein fotografisches Erinnerungsstück, tendenziell aber eher etwas steif geraten.

Gruppe von Hopfenzupfern, 1931 in Obermünchen (Hallertau)

Hopfenernte in Obermünchen (Hallertau), 1931

 

Das alles ist bei diesem Foto anders. Hampp wollte kein Geschäft machen. Ihm glückte ein auf Nitrofilm gebanntes Stück Lebendigkeit. Alte Hopfenbauern erzählen über die Hopfenernte früherer Tage gerne so, als wäre es dort zugegangen wie in einem Ferienlager. Stimmung, Gaudi, Schabernack. Wenn sich ein Hopfenzupfer-Gruppenbild erhalten hat, aus dem eine solche Gemütslage dem Betrachter förmlich entgegenspringt, dann dieses Bild aus Obermünchen. Erwachen heiterer Gefühle auf dem Lande, frei nach Beethoven. Die Stimmung ist aber nicht nur heiter, alle wirken entspannt, gelöst, aufgeräumt. Gerade so, als wäre die Hopfenernte weniger ein monotones Klein-klein-Gefrickel gewesen, als vielmehr eine beruhigende Lockerungsübung für Arme, Rücken und Geist. Hopfen-Qi-Gong.

Alle kommen rundweg sympathisch rüber, vom Fleck weg möchte man mit den meisten abends beim Bier zusammensitzen, mehr über sie erfahren, Freundschaft schließen. Überall deuten sich Geschichten an, Geschichten über die wir nichts mehr wissen, nur ein bisschen hinterherphantasieren können. Wurde etwas Längeres aus dem Paar in der Mitte oder war es nur eine Hopfenzupfer-Liebelei? Mit Folgen? Dann der Größenunterschied ihrer Hände. Was für eine Pranke. Und was denkt sich der gutaussehende Herr in der Mitte, wenn er die beiden leicht amüsiert betrachtet? Alles Gute? Oder regt sich doch ein bisschen Entrüstung über so viel verliebte Lockerheit?

Der Bub im Vordergrund amüsiert sich vermutlich noch immer über den Schabernack, den er am Abend vorher verbrochen hat und brütet gerade den nächsten Streich aus. Ob der junge Mann auf dem Sack später seine frühe Raucherei büßen musste? Der Zupfer mit der Schiebermütze links kriegt sich kaum ein über seinen Einfall, seine Kollegin auf die Schulter zu hieven. Die sieht aus wie die Stimmungskanone, immer ein lockeres Sprücherl auf Lager. Wer war die beste Zupferin? Eine Frau auf alle Fälle, die Frauen waren bei der Hopfabrock immer flinker als die Männer. Vielleicht die schlanke Frau rechts hinten? Aber warum legt sie dem älteren Herrn die Hand auf die Schulter? Ihr Vater? Der war jedenfalls schon lang dabei, das steht fest, ein treuer Helfer. Zwischen den beiden mit Schnauzer und Zigarett´l , leicht verdeckt, eher ein Schlawiner. Sicher ein guter Schafkopfspieler.

Hopfenzupfer im Hopfengarten

Flasche voll? Eine Menge Details für den, der genau hinsieht: die Bierflasche stammt von der Brauerei Wittmann aus Landshut, anders als der Bierkasten, der kam von der Schlossbrauerei in Furth. Beides nicht weit von Obermünchen entfernt. Auch der unge-wöhnliche Holzmetzen ist wieder im Bild. Nur mit dem Trinken wird es nicht ganz geklappt haben bei geschlossenem Bügelverschluss…

Die Kleidung ist wie immer eher zu warm gehalten, alle Männer tragen Westen, fast alle Hut oder Kappe, alle Frauen ein Tuch um den Kopf. Nur das Mädchen mit dem freundlichen Lächeln nicht. Wen ihr Engelsgesicht wohl später verzaubert hat?

Markant sind die vielen schlechten Zähne, die als Nebeneffekt der gelösten Stimmung ganz uneitel in die Kamera lachen. Ungewöhnlich der hölzerne Zuber zum Abmessen. Üblich waren in der Hallertau zu der Zeit blecherne Eimer mit Eichsiegel, Metzen genannt. Der Hopfen-Abmesser verrichtet seine Tätigkeit mit der konzentrierten Miene eines Amtsdieners. Auf einem anderen Bild, das Hampp mit der Kleinbildkamera geschossen hat, setzt er den gleichen ernsten Gesichtsausdruck auf. Richtig so, denn letzten Endes ging es ums Geld. Es war eben kein Ferienlager, auch wenn die Laune stimmte. Alle wollten verdienen, Zupfer und Bauer.

Interessant ist auch der Herr, der sich so dezent im Hintergrund positioniert hat. Die Stange, an der er sich festhält, lässt darauf schließen, dass das der Stangler war, der die Hopfenreben herunter stangelte. Die Zurückhaltung, die hier zum Ausdruck kam, war eher ungewöhnlich, auf anderen Bildern platzierten sich die Herren Stangler gerne selbstbewusst im Zentrum.

Hopfenernte in der Hallertau, 1931

Gleiche Miene, gleiches Amt: beim Abmessen war Schluss mit lustig. Der Herr links mit Pfeife diesmal bei der Arbeit, der Stangler lässt – ungewöhnlich – eine Frau seine Arbeit verrichten.

Wer die Hopfenzupfer/innen auf dem Foto wirklich waren, wissen wir nicht mehr. Es dürfte keine/r mehr von ihnen am Leben sein. Den meisten wird keine zehn Jahre später die gute Laune gründlich vergangen sein, einige der Männer kamen wahrscheinlich von den Schlachtfeldern des Weltkrieges nicht mehr zurück und die Frauen mussten zusehen, wie sie ohne Unterstützung ihrer Ehegatten ihre Familien durchbrachten.

Den Hopfenbaubetrieb Radlmeier gibt es noch heute und auch das Gasthaus wird weiterhin betrieben.

Hugo Hampp musste 1943 aus etwas dubiosen Gründen sein Amt niederlegen. Er starb 1954 zurückgezogen in seiner Freisinger Wohnung. Seine Bilder haben zum Glück überlebt.

Göttliche Eingebung

Das Chaos brach endgültig aus, als Ratebeer Mitte der 2000er-Jahre das 12 zum „besten Bier der Welt“ kürte. Westvleterens Abt hatte nach dem Zweiten Weltkrieg einen kühnen, heute würde man sagen authentischen Schritt oder eher Schnitt vollzogen. Kein Bierverkauf mehr, der nicht dem direkten klösterlichen Zweck zu Gute kommt. Kein kommerzieller Vertrieb mehr, wer ein Westvleteren haben wollte, musste künftig direkt am Klostertor anklopfen. Wer Glück hatte, bekam dann ein bisserl was. Oder auch nicht. Schon für den geneigten europäischen Biernerd kein einfaches Unterfangen. Schließlich liegt die Sint-Sixtusabdij wirklich sehr weit hinten drin im flandrischen Hinterland und das lässt sich auch nicht mit einem kleinen Schlenker auf dem Weg zum Gardasee mitnehmen. Für den weit entfernt hausenden US-amerikanischen Bierfreak ein schier unerreichbarer Bierschatz, den, sollte er auf seiner weiten weiten Reise nach Europa tatsächlich den Weg in die belgische Provinz finden, er gar nicht anders als überschwänglich beerraten konnte. Die sonstige Legenden über Westvleteren sind unter Bierfans hinlänglich bekannt: die Autoschlangen vor dem Kloster, das Biertelefon, die 24 Flaschen Maximum, die Verpflichtung, keinen Schwarzmarkt zu beliefern, das bierfinanzierte Kirchendach etc. etc.

Ob das Westvleteren 12 jetzt wirklich so unglaublich besonders gut ist, sei dahingestellt. Zweifellos ist es ein Extrembeispiel für eine Bierkultur, die insbesondere die Erzeugnisse von Brauereien mit klösterlichem Background außergewöhnlich hochschätzt. Die bayerische Bierwelt kennt das ja auch, die quasi mythische Verehrung der Andechser, Scheyerner, Weihenstephaner, Weltenburger Sude und wenn sie, wie in den letzten beiden Fällen, auch noch die allerallerälteste Brautradition vorweisen können, umso besser. Selbst das mega-durchkommerzialisierte Münchner Salvator-Spekatakel profitiert noch immer vom einstigen mönchischen Flair. Selbst mit Mutter Bavaria alias Luise Kinseher am Rednerpult.

Gemälde von Eduard Grützner: Drei Mönche bei der Brotzeit

Solche Bilder prägten unsere Vorstellung von der innigen Beziehung zwischen Klosterleben und Bier (Eduard Grützner Drei Mönche bei der Brotzeit, 1885. Quelle: Wikipedia).

In Belgien scheint die Klosteraura noch eine andere Qualität erreicht zu haben. Schon Anfang der 1960er erkannten die knorrigen Trappisten die Gefahren bloßen Etikettenschwindels und ließen sich ihre Produkte mit dem ATP-Label (Authentic Trappist Product) schützen. Zu der Zeit hatten sich nämlich schon Brauriesen wie Interbrew oder Alken-Maes über die Erzeugnisse  ehemaliger Abteien wie Leffe oder Grimbergen hergemacht. Oder besser gesagt, die Kassen der Lizenzgeber klingeln lassen. Auch wenn 1998 das „Certified Belgian Abbey Beer“-Label nachfolgte, waren und sind dessen Kriterien wachsweich. Brauerei und Kloster müssen eine Geschäftsbeziehung eingehen, dem Kloster muss irgendeine Brauhistorie nachzuweisen sein und zuallererst muss die Brauerei Mitglied im Belgischen Brauereiverband sein, der das Label gehört. Na dann.

Dass das Geschäft trotzdem so prächtig funktioniert mit dem Kloster-Tarnmäntelchen hat mit Sicherheit eine Menge mit gelebter Romantik zu tun und zwar im ursprünglichen, literarischen Sinn. Eine tiefe Sehnsucht nach einem scheinbar unverfälschten Mittelalter, in dem die Natur und damit der liebe Gott das Dasein steuerte. Und keine seelenlosen Maschinen, keine multinationalen Konzerne oder dicke Bankkonten. Unverfälscht, ehrlich, dem Einfluss des Menschen entzogen, des Menschen, der sich einfach nur freuen darf an Gottes reinen Werken, in diesem Falle Werken aus dem Bierfass.

Dass diese Logik selbst dann noch funktioniert, wenn nicht mehr ganz so unverfälschte Moneymaker zum Beispiel aus dem InBev-Lager die Fäden im Hintergrund ziehen, zeigt, welche tiefe Sehnsüchte hier angesprochen werden. Sehnsüchte, die sich auch durch die wildesten Sinnverdrehereien nicht beirren lassen. So bekam beispielsweise die Brasserie Brunehaut ihr Abbey-Beer-Label, obwohl die etikettierte Abtei St. Martin schon seit knapp 200 Jahren gar nicht mehr existierte. Aber ein Naturkundemuseum existierte mittlerweile und zwar aufgebaut auf den Resten von St. Martin und das hat ja schließlich mit Geschichte zu tun,  so ein Museum. Also ein klares Ja für ein Abteibier. Oder darf die Brauerei Ter Dolen ihre Biere als Abteibiere bezeichnen, obwohl Ter Dolen zwar eigentlich kein Kloster ist, sondern ein Schloss, aber das hat mal einer Abtei gehört, jedenfalls vor ein paar hundert Jahren. Logisch. Oder darf die Huyghe-Brauerei das offizielle Bier der Abtei Averbode brauen, schließlich verwendet Huyghe ja auch Dinkel (so ein bisserl…) und der wurde im 15. Jahrhundert rund um Averbode angebaut. Wer kann das noch etwas gegen das Label „Abteibier“ haben wollen.

„Eine tiefe Sehnsucht nach einem scheinbar unverfälschten Mittelalter, in dem die Natur und damit der liebe Gott das Dasein steuerte.“

Neben diesen spaßigen geistigen Verrenkungen mag in Belgien aber auch die nicht ganz so drollige große Geschichte eine Rolle gespielt haben. Zu Zeiten der Französischen Revolution nach 1793 wurden fast alle der jahrhundertealten Abteien aufgelöst, geschliffen, nicht selten komplett zerstört. Was heute Belgien ist, war damals die von Frankreich aus gesehen feindliche Katholische Niederlande im Besitz der Österreichischen Habsburger. Nach Napoleons Waterloo 1815 ließ sich schön beobachten, wie sich in Belgien nach und nach der alte klerikale Geist zurückkämpfte und mit dem neuen nationalen Geist zusammenwuchs. Die antiklerikalen Bestrebungen der französischen Modernisten wollte man nicht mehr haben im neuen Nationalstaat Belgien, der 1830 ins Leben gerufen wurde. Da passte die Berufung auf alte klösterliche Traditionen sehr gut ins Bild. Und wenn sie dann auch noch durch den Gaumen und Magen gingen und nicht so sehr durch den Kopf, umso besser…

Und so ein Miteinander von Konfession, konstruierter Nationalstaatlichkeit und bierseliger Landeskultur kennt man ja dann in ganz ähnlicher Weise aus Bayern. Womit sich der Kreis wieder schließt.

Geschichte hin, Marketing her: Bier ist zweifellos ein göttliches Getränk. Und wo man Gott besonders nahe ist, zum Beispiel in einem Kloster, dort muss dieses Ambrosium logischerweise am besten gedeihen. Widerspruch zwecklos. Wer einmal im Frühsommer im Andechser Biergarten versumpft ist, der kann nur mehr zustimmen und genießen.

Jäger des verlorenen Spagats

Spagat hat beim Hopfen wenig mit elastischen Hüftgelenken zu tun. Eher mit verspannter Nackenmuskulatur. Spagat nannten die Hopfenbauern, jedenfalls die in der Hallertau, eine bestimmte Art von Schnur. An dieser Schnur wuchs ab Ende des 19. Jahrhunderts jede einzelne Hopfenrebe nach oben. Eine Begleiterscheinung des epochalen Wechsels von den jahrhundertelang gebräuchlichen Hopfenstangen zum modernen Hopfengerüst. Warum alle (Hopfen-)Welt immer „Spagat“ sagte und nicht „Schnur“, meintewegen auch „Hopfenschnur“ oder „Hopfenseil“, weiß keiner. Auch wenn Johann Andreas Schmeller in seinem Bayerischen Wörterbuch von 1836 den Spagat als „Bindfaden, wol aus dem ital. spaghetto“ darstellte. Üblich war „Spagat“ statt „Schnur“ nur in Hopfengegenden.

Hopfenbauer beim Spagatwerfen

Sehr lässig: Jedes Werferl ein Unikat. Jeder Werfer auch.

Größte Herausforderung beim Hopfen-Spagat war seine Montage ans Hopfengerüst. Auch wenn das normale Gerüst um 1900 noch eher mit sechs statt acht Metern Höhe aufgebaut war: Leitern anlegen kam technisch nicht in Frage. Stelzenakrobatik wie im angelsächsischen Hopfenbau üblich, war in Deutschland nie ein Thema. Für Bühnen, Kanzeln, Hebekörbe, am Traktor oder Wagen angebaut, war die Zeit noch zu früh.

Hopfenbauern – und es waren tatsächlich meistens die Männer – lösten das Problem sportlich: Man(n) warf. Konkret: ein Spagatmesser, semantisch nachvollziehbar gerne auch als Spagatwerferl bezeichnet. Messer deshalb, weil sich irgendwo am Gerät eine Schneide befand, mit der sich die neu verlegte Spagatschnur fachmännisch ablängen ließ. Werferl deshalb, weil man eben tatsächlich etwas herumwarf, schmiss, schleuderte, je nach individueller Technik. Dieses etwas, das Werferl, unterlag in gleicher Weise individuellen Designvorstellungen. Meist eher länglich, aber auch kreisrund anzutreffen, mal knapp daumenlang, ein anderes doppelt handtellergroß, die Schneide kerzengerade, konisch, halbmondförmig gebogen, breit oder abgeflacht. Wie es dem jeweiligen Handhaber halt gerade als möglichst angenehm und effizient erschien. Als in einer Regalecke unseres Museumsdepots vor einiger Zeit ein einzelnes sauber geputztes Hufeisen auftauchte, konnte ich mit Hilfe alter Inventarlisten herausfinden, dass es sich dabei nicht um etwas für Pferde, sondern um ein Spagatwerferl handelte. Typisch Hopfenbau eben. Standardisiert wurde anderswo.

„Der Spaget (Spáged), Bindfaden, wol aus dem ital. spaghetto“

Johann Andreas Schmeller, Bayerisches Wörterbuch, 1836.

Auch wenn technisch und vom Instrument her ein ausgeprägtes Stilbewusstsein bei den Hopfenbauern vorherrschte: die zentrale Aufgabenstellung blieb letztlich unangetastet. Der ins Spagatmesser einklemmte, eingebundene Spagat, die Schnur eben, musste irgendwie oben über den Laufdraht des Gerüstes drüber. Und zwar möglichst exakt. Also nicht über zwei oder drei oder sonstwieviele Laufdrähte, nicht um die bereits verlegte Nachbarschnur, nicht zu weit, nicht zu kurz. Beim optimalen Wurf landete das Spagatmesser samt eingezwickter Schnur wieder in der Hand des Werfers. Der zog die Schnur aus dem Werferl, schnitt sie passgenau vom Schnurknäuel und band sie mit einem fachgerechten Schleifknoten um den vorher eingesteckten Holzpflock im Hopfengartenboden. Nun war´s an der Hopfenrebe, die folgenden Wochen dort nach oben zu wachsen.

Werbeanzeige für Hopfenspagat

Die Hanfwerke Füssen-Immenstadt waren lange Zeit der wichtigste Lieferant für Hopfenspagat

So weit so theoretisch. Dass einer solchen Technik eine gewisse Geübtheit nicht schaden konnte, ist eine Untertreibung. Zum nötigen Zielwasser kam das stundenlange Nach-oben-Starren, es sei an die verspannten Nackenmuskeln erinnert. Überanstrengte Augen mussten ununterbrochen vom Fokus ins grelle Sonnenlicht – Spagatmesser fliegt über den Laufdraht – auf das Dunkelbraun des Ackerbodens – Spagatmesser fällt wieder runter – hin- und herpendeln. Nicht wenige Hopfenbauern hatten auch nach dem hundersten Spagatschnürl den Kniff nicht richtig raus. Und vergaben entnervt die ganze Aufgabe an Lohnarbeiter, die auch noch mit verbundenen Augen und einhändig die Aufgabe locker meisterten. Ein Sport von baseballartiger Präzision. Es soll in der Hallertau sogar einmal überörtliche Meisterschaften im Spagatwerfen gegeben haben, auch wenn ich bisher keine konkrete Notiz hierzu finden konnte.

„Spagat hat beim Hopfen wenig mit elastischen Hüftgelenken zu tun. Eher mit verspannter Nackenmuskulatur.“

Aber egal ob Wurfmeister oder ewiger Anfänger: wer die Konzentration schleifen ließ – und es gab schon in den 1920er Jahren Bauernhöfe mit Tausenden von Hopfenstöcken – lebte gefährlich. Weil ihm das eiserne Werferl entweder unfreiwillig auf dem Kopf landete – Hut oder Mütze waren für jeden Werfer nicht nur wegen der Sonne Pflicht. Oder weil er sich an der Werferlschneide die Hand aufschnitt. Oder aber, weil das eigensinnige Spagatmesser sich während seines Fluges kurzerhand der lästigen Schnur entledigte und einfach irgendwo landete. Auf Nimmerwiedersehen.

Spagatmesser

Nach 60 Jahren wieder ans Tageslicht gekommen. Im Rost überdauert die Aura der Dinge.

Das abgebildete Spagatmesser ging in den 1920ern in einem Hopfengarten bei Uttenhofen in der Hallertau auf diese Weise verloren. Auch stundenlanges Suchen – es handelte sich schließlich um ein wertvolles, maßgeschmiedetes Werkzeug – half nichts. Weg war´s. Erst 60 Jahre später gab es der Hopfengarten wieder frei. Der einstige Unglückswerfer war da schon längst verstorben. Sein Sohn zog es bei der Frühjahrsarbeit aus dem Erdreich. Natürlich hat der Zahn der Zeit seine Rostspuren hinterlassen. Und zweifellos gibt es gepflegtere Exemplare zum Ausstellen in einem Hopfenmuseum. Aber welches andere Spagatmesser kann heute die Essenz der Herausforderungen, mit denen sich die Hopfenbauern einst beim Spagataufhängen herumschlagen mussten, so ausdrucksstark zum Vorschein bringen.

Für mich eines der schönsten Stücke in unserer Museumssammlung.

Ödland für die Kunst

Im Bauerngerätemuseum Ingolstadt läuft noch bis 19. Juni 2022 die Ausstellung „Holledauer Geschichten III“. Sehr zum empfehlen.

Jahrhunderte lang baute man Hopfen an Stangen. Jede Hopfenrebe eine Stange. „Du bist so lang wie eine Hopfenstang´“ lautete ein mäßig freundliches Bonmot für großgewachsene Leute. Solche Menschen waren ebenso wie das hölzerne Vergleichsmaterial nicht so leicht zu übersehen. Ob man sie schön fand oder nicht, sie prägten ihre Umgebung, stachen raus, erhoben sich, sahen über die Köpfe hinweg, über den Rest der Welt.

Um 1850 kam beim Hopfenanbau ein neues System ins Gespräch. Draht statt Holz. Die Stange wandelte sich zur Säule. Sie sollte das Drahtkorsett für den Hopfen zusammenhalten. Eine Pflanze wuchs daran keine mehr. In Franken, um die Städtchen Spalt und Hersbruck, wo seit langer Zeit der Hopfen die Haupteinnahmequelle lieferte, tat man sich schwer mit der neuen Technik. Jakob Reider, einer der wichtigsten Hopfengelehrten seiner Zeit, wetterte über das Experimentieren mit dem neuen Material, über solch „alberne Possen“.[i] Dass es dabei nicht nur um wissenschaftliche Bedenken ging, spürte man schnell. „Gegenüber den entscheidenden Vorzügen der Anlage besitzt der Stangengarten ohne Zweifel mehr immaterielle Werte, die das Gemüt berühren, deren Verlust ein Verlust des Herzens ist“, seufzte noch Jahrzehnte später ein fränkischer Heimatkünstler. Seine Klagerede unterlegte er mit Bildern, mit Kunst. Zeichnungen und Radierungen aus der Hand der fränkischen Künstler Rudolf Schiestl, Ernst Pflaumer, Konrad Volkert und Hermann Wilhelm. Letztgenannter hatte 1933, nach dem Tod Schiestls, in Kalchreuth eine Gedenkstätte für den bekannten Maler und Graphiker eingerichtet. Wie Pflaumer und Volkert war er sein Schüler gewesen.

Hans Dollinger: Holledauer Dreigesang, Mia san Holledauer (2006). Traktorspuren, Raku, Eisen.

Schiestls Begeisterung für die fränkische Natur hatte sich auch auf seine Nachfolger übertragen. Auf den Abbildungen zu sehen waren Ansichten fränkischer Hopfengärten. Warum ausgerechnet die Wahrnehmung von Hopfengärten als „Natur“? Die Erklärung lieferte der Autor mit: Der Hopfengarten „ist ein empfindsames Motiv in der Landschaft. Im Prunk seines Wachstums wirkt er mehr wie ein Stück Natur, als eine Anlage von Menschenhand“. Interessanterweise waren auf den Zeichnungen fast ausschließlich sogenannte „Stangenhäuser“ abgebildet, also nach der Ernte pyramidenförmig zusammengestellte Hopfenstangen, die aussahen wie Indianerzelte ohne Hülle. Fränkische Hopfenwildnis. Vom „Prunk des Wachstums“ war also nicht viel zu sehen. Freilich, die Stangenhäuser ließen den Blick frei auf die Dörfer und Hügel im Hintergrund, auf Obstgärten und Felder, was das Eingewachsensein verstärken sollte. Aber der Hopfen selber, Stange für Stange im Spalier, ein Steckerlwald? Das waren zu viel senkrechte Striche, zu viel Vertikale und Geradeaus und im Ganzen eine Wand ohne Drumherum und Hintendran. Kein passendes Motiv für empfindsame Heimatgefühle, wo Natur und Kultur doch verschmelzen sollten, abseits der städtischen Zivilisation und all ihrer unappetitlichen Gleichmacherei und Bedrohlichkeit. Sehnsüchte und Ängste nach einer heilen (Agrar-)Welt, die bald darauf die Blut-und-Boden-Mystik des Dritten Reiches mit Geschick für ihre Zwecke auszunutzen verstand.

In der Hallertau lief alles ein bisschen anders. Von den Hopfenstangen verabschiedete man sich schon recht früh. Zu Zeiten, als man andernorts tiefe Landschaftsgefühle mit den Holzstangen verschwinden sah, wussten die Holledauer Hopfenbauern gar nicht mehr richtig, was mit Stangenanbau gemeint war. Draht war zweckmäßiger, billiger, rationeller. Punkt.

Nicht viel anders hielten es die Hallertauer beim Hausbau. Spalter Hopfenbauern steckten einstmals ihr Kapital in wunderschön anzusehende Fachwerkbauten unter deren steilen Dächern sie ihren Hopfen an der Luft trocknen konnten. Hauskunstwerke, die heute das Herz jedes Frankentouristen höherschlagen lassen, auch wenn die Gemeinden nicht mehr wissen, wie sie die ganze denkmalpflegerische Last noch schultern sollen. Als um 1900 die moderne Heißluftdarre auftauchte im Hopfenbau, da konnte man ja schlecht die ganzen Dörfer abreißen, um Platz zu schaffen für die neuen turmartigen Darren. Die Hallertauer dagegen brauchten wieder nicht lange, um die neue Technik umzusetzen. Und wenn die Darre irgendwann höher aufragte als der Dorfkirchturm, umso besser.

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Thomas Neumaier: Hopfenzausel (2022). Holz, Papier, Acryl, Hopfen.

Ein kunstbeflissener Heimatforscher, der den Hallertauern das Drahtaufhängen oder das Darrenbauen aus landschaftsästhetischen Gründen verbieten wollte, tauchte nie auf. Hätte auch nicht gepasst, schließlich war der Hopfen hier alles andere als das Symbol für die gute alte Zeit. Hopfen kam hier ja erst seit ungefähr 1850 richtig zum Zug. Und er hatte aufgeräumt mit den Traditionen. Wer Hopfen baute, musste modern denken, an Marktwirtschaft, Brauindustrie, Agrarwissenschaft. Im Schweiße ihres Angesichts das Korn fürs Brot säende Bauern, daran dachte man beim Hopfen eher nicht mehr. Hopfenpflanzer hieß es nun, nicht Hopfenbauer. Fünfzig Angestellte zur Hopfenernte, Eisenbahn und Telegraf, zur Erntezeit darauf achten, was auf der Hopfenbörse in Nürnberg vor sich ging, das waren die neuen Zeiten. Die Pfarrer ereiferten sich über den Verfall der Sitten, weil der Hopfen zu viel Reichtum und Luxus in die Dörfer brachte. Und doch waren sie gezwungen, als einzige Besitzer eines Radios bei der sonntäglichen Predigt zu verkünden, wie der aktuelle Hopfenpreis stand. Sprachpfleger beobachteten das Vordringen neuer Begrifflichkeiten, Trachtenforscher den Sieg städtischer Moden über die alten Trachten.

Und die Künstler? Machten aus der Hallertau ein „Ödland für die Kunst“, wie es Hallertauer Volkskundler aufgebracht diagnostizierten. Ödland für die Kunst. So eine Schublade sagt viel über die Erwartungen aus, die man an Kunst, an Landschaftskunst, knüpft.

Landschaft liefert Bilder. Bilder, die im Kopf des Betrachters wirken. Bilder, die auf Vorstellungen von Landschaft treffen, die schon vorher da waren. Die darüber entscheiden, ob man das Bild der Landschaft als schön oder hässlich empfindet, als authentisch oder gekünstelt. Gekünstelt und somit nicht künstlerisch wertvoll. Nicht edel und gut, nicht tiefsinnig, sich auseinandersetzend. Wo die gekünstelte Kunst aufhört und wo die künstlerische Kunst anfängt, auch das ist von Bildern geprägt. Es gibt keine Trennung von Natur und Kultur. Kultur ist alles, was vom Menschen beeinflusst wird. Zuallererst ist das die Natur. In dem Moment, in dem der Mensch seinen Fuß in die Landschaft setzt, ist sie schon Kultur geworden, wahrgenommen, verfremdet, bearbeitet, verformt, verwandelt. Die Sehnsucht nach der Reinheit der Natur kommt nicht zufällig immer erst dann ins Spiel, wenn die Kultur, die Zivilisation zu sehr auf dem Vormarsch ist. Wer noch genug pure Natur um sich weiß, wird niemals nach ihren „unnennbaren Reizen“ suchen.

Drahtlinge auf Catway - Plastik von Hans Dollinger

Hans Dollinger: Drahtlinge auf Catwalk (2022). Drahtreste, Acryl, Holz.

Der Hopfen ist da ehrlicher, besonders der Hopfen in der Hallertau. Die Naturbearbeitung steckt von vorneherein mit drin, ganz unübersehbar. Landschaft ist hier in jedem Fall Kulturlandschaft, keiner käme auf die Idee, einen Hopfenstangenwald für unberührte Natur zu halten. Ohnehin ist reine Natur für den Menschen nicht denkbar ohne Landschaft. Die Natur schert sich nicht drum, ob es dem Menschen gefällt, wie sie wächst und vergeht, im ständigen Fluss der Veränderung. Wilder Hopfen wächst mitten im halbschattigen Auwald oder am Waldrand. So wie es ihm passt. Nimmt ihn der Mensch wahr, wird er angepasst. Hopfen im Hopfengarten ist keine Natur mehr. Der Mensch entscheidet nun, was passt. Weiblicher Hopfen passt gut als Bierwürze. Männlicher Hopfen passt nicht, weil man keine Befruchtung haben will. Männlicher Hopfen ist ein Schädling. Man rottet ihn aus, zur Not mit Pflanzenschutz-, besser bekämpfungsmitteln. In Hopfenkulturlandschaften will man die wilde Geschlechternatur nicht haben. So etwas ist das Gegenteil von Natur.

In Hersbruck eröffnete kurz nach dem Zweiten Weltkrieg ein Heimat- und Hopfenmuseum. Museumsleiter wurde passenderweise einer der oben aufgeführten fränkischen Hopfenkünstler. In der Hallertau dauerte es dagegen noch 50 Jahre bis zum großen Museum. Touristen, Großstadtflüchtlinge, Eventsucher, denen man das zurechtgestylte Fremdenverkehrs-Oberbayern seit Generationen als echt verkauft hat, taten sich schwer mit der drahtigen Hallertau. Für deren Katalogblicke ist die Hallertau ganz bestimmt Ödland.

Wer meint, dass so eine Landschaft nichts taugt für die Kunst, verwechselt aber Kunst mit Kitsch. Sucht nach einem künstlerischen Reinheitsgebot, das ebenso willkürlich ist, wie das für´s Bier. Die Kunst sitzt eher dazwischen. Jedenfalls versucht sie, sich rauszunehmen aus den fertigen Bildlandschaften im Kopf. Durch neue Perspektiven einen neuen Blick auf die realen Landschaften zu öffnen. Das wäre interessante, gelungene Kunst. Jedenfalls in meiner Vorstellung.

Titelbild:
Thomas Neumaier: Hopfen-Oktaphon. 2022. 54 x 40 x 4 cm.

Abenteuer Hallertau

Michael Urban und Tobias Rossmann haben es geschrieben, fotografiert, ausgedacht, selbst erlebt. „Micro Adventures“ nennen sie auf Neudeutsch, was sie den Lesern nahebringen wollen, nach dem Erfinder dieses Begriffes, dem Briten Alastair Humphreys. Micro Adventures, das bedeutet so viel wie: rausgehen, Augen aufmachen, kreativ sein, die wunderbaren Dinge vor der Haustür entdecken, dabei den ganzen Körper einsetzen und dadurch letzten Endes auch den Geist befreien. Kommt einem auf den ersten Blick bekannt vor. Begriffe wie Entschleunigung, Ökologie, Nachhaltigkeit ploppen im Hinterkopf auf. Hier kommen sie aber fern jedweder Ideologie oder Naturkitsch daher. Und die Umsetzung ist so erfrischend locker und sympathisch, dass einem schon beim Lesen das Herz aufgeht. Was wird einem da wohl erst widerfahren, wenn man sich selbst ins Mikroabenteuer stürzt.

Wenn sich die beiden selber in die Nähe von Hobbits rücken, meinen sie damit weniger große Füße oder Lust auf zweites Frühstück. Sie nehmen relativ direkt Bezug auf die klassische Heldenreise, die ja bekanntlich auch immer eine Reise ins eigene Ich ist und am Ende stets gewandelte, verfeinerte Held/innen hervorbringt. Deswegen muss die Tour auch gar nicht unbedingt eine gewaltige Odyssee sein, es reicht auch eine Fünf-Stunden-Walz ins nahe Römerkastell (Eining), zur nächsten Oase (Steinerskirchen) oder auf den höchsten Gipfel der Umgebung (in Osseltshausen).

Umschlag des Buches "Abenteuer Hallertau"

Und so machten sich Sir Toby und Ritter Mike auf ins verwunschene Land das da heißt Hallertau oder Holl-ed-Au, wie es die Alten nannten, und lernten auf ihrer Reise zahlreiche freundliche Gesellen kennen, wie die Wirtin vom Seidlbräu, Konrad den Hopfen-Altmeister oder den weisen Franz, den Stiglmaier. Sie begegneten dem Herrn der Glühwürmchen, berieten sich mit dem Mondvogel, folgten der Legende des Kaisermantels, machten sich auf die Suche nach dem geheimnisvollen Knabenkraut, entkamen der grausigen Beißschrecke, betäubten sich am Duft des würzigen Humulus.

Im Land der Baumwesen unter seinem Schultheiß, dem knorrigen Sir Andy Oaksworthy, lösten sie das Rätsel der 12 Jahreszeiten. Im Labyrinth der gestängten Gärten kam ihnen der Riese Mathias zu Hilfe, der ein gebratenes Schwein inklusive 77 Riesenknödeln in einem Satz verschlingen kann. Im Reich der magischen Pferde verfielen sie den Reizen der glutäugigen Rusalka. Und wenn es einmal gar nicht mehr weitergehen wollte, eilten kurzerhand die lieblichen Feen Annaschön und El-Ena herbei und halfen unseren Helden aus der Patsche, damit sie nicht in den eisigen Auen des Hopfenlandes einen bitteren Tod erleiden mussten. Oder jedenfalls eine Erkältung. So oder so ähnlich.

Besonders wunderbar ist, dass die beiden Mikroabenteurer nicht nur leidenschaftliche Naturliebhaber und belesene Textkönner sind, sondern auch großartige Fotografen mit einem feinen Blick für Reizendes und Schräges und den Zauber des Augenblicks. Obwohl nur gut 200 Seiten dick, ist das Buch vollgepackt mit Informationen und haufenweise Fotoperlen, die alle für sich schon kleine, zauberhafte Geschichten erzählen und sofort die Phantasie anregen. Eine Mischung aus Wanderführer, Fotoband, Abenteuergeschichte, Tagebuch, Ideensammlung.

Und das wirklich absolut Wunderbare ist, dass Mike Urban und Tobi Rossmann all die Schönheiten nicht in den ewig gleichen Must-See-Gegenden aus der Tripadvisor-Rangliste entdecken, sondern vor ihrer Haustür, eben in der Hallertau. Ausgerechnet die Hallertau möchte man sagen, die man ja schnell mal mit Agrarindustrie, hoher SUV-Dichte und zubetonierten Flusstälern assoziiert. Wer das Gegenteil erleben will, der lese dieses Buch. Und wandere los.

Hab´ ich es schon erwähnt? Ein wirklich schönes Buch.

Michael Urban & Tobias Rossmann: Abenteuer Hallertau. Micro Adventures im Hopfenland. 216 Seiten, broschiert, Süd-Ost-Verlag, ISBN 978-3-95587-794-1, Preis: 19,90 EUR.

Wer das Buch kaufen möchte, muss übrigens nicht bis zum Amazonas. Man kriegt es zum Beispiel bei uns im Museumsshop, sogar am Sonntag: Di-So, 10-17 Uhr.

Oder bei Frau Kawasch in der Marktbuchhandlung Wolnzach, auch am Montag.

Alternativ unter www.hopfenshop.de , hier 24/7.