
Die Wolnzacher „Hopfenrebenaufschließungsgesellschaft“
Während des Krieges versuchte man, Hopfenreben zu Textilfasern zu verarbeiten
Von Christoph Pinzl
(Ein besonderer Dank an Rudi Pfab, Wolnzach, der einen Großteil der Quellen für diesen Beitrag zur Verfügung gestellt hat.)
Die Idee war eigentlich alt. Angeblich sollten schon die alten Babylonier „in grauer Vorzeit“ herumexperimentiert haben – was eher unwahrscheinlich ist, weil bei denen der Hopfen gar nicht wuchs, Stichwort: Tageslänge. Aber immerhin schon 1754 berichete ein gewisser Pehr Schißler der Königlich Schwedischen Akademie der Wissenschaften recht detailliert, wie er auf seinen Gütern in Mittelschweden damit begonnen hatte, Hopfenreben zu Textilfasern zu verarbeiten, ähnlich wie beim Hanf. Hopfenstoff soll sich durch besondere Robustheit ausgezeichnet haben und wurde deswegen gerne für Sackleinwand, Stricke oder Teppiche verwendet. Er galt als wärmend im Unterschied zur kühlen Baumwolle. Allerdings ließ er sich wohl nur schwierig bleichen, was bei der Verarbeitung zu Kleidungsstoff deshalb gewisse Grenzen setzte. Im 18. und 19. Jahrhundert hörte man immer wieder, sei es aus Bayern, Württemberg oder Thüringen, aber auch aus England, Böhmen oder Russland, von entsprechenden Aktivitäten.
Bekanntlich wird Hopfen nur wegen seiner Hopfendolden angebaut. Abfall waren seit jeher die riesige Maße an Reben und Blättern, die man bestenfalls als Einstreu für das Vieh nutzte oder als Gründünger wieder in den Hopfengarten fuhr. Eigentlich verwunderlich, dass die Weiterverarbeitung zu Textilien bzw. Garn nie so richtig in Schwung kam. Ein kleiner Bericht in der Allgemeinen Brauer- und Hopfenzeitung von 1887 lieferte einen Hinweis darauf, woran das möglicherweise liegen konnte: „Leider hat man aber einstweilen bei Versuchen in dieser Richtung stets mit dem mangelnden Entgegenkommen der Producenten zu kämpfen“, seufzte der Autor. Sprich: Hopfenbauern interessierte die Rebenverarbeiterei meist eher, vorsichtig ausgedrückt, „am Rande“. Was vermutlich auch daran lag, dass sich der ganze Transport- und Vorbereitungsaufwand für sie nicht rentierte, sprich die Rebenverarbeiter nicht anständig bezahlten.

Rebenverarbeitung in Wolnzach, 1941.
Am 17. September 1918 verfasste Prof. Dr. Udo Dammer, Leiter des Botanischen Gartens in Berlin, ein Rundschreiben an alle botanischen Institute in Deutschland. Er empfahl dringend ein deutschlandweites Standortverzeichnis für wilden Hopfen anzulegen. Kriegsbedingt war nämlich der Hopfenanbau massiv zurückgegangen. Er habe aber ein funktionierendes Verfahren entwickelt, beim Hopfen, „die Fasern so aufzuschließen, dass sie zu Feingarn versponnen werden können.“ Eile sei geboten, denn der Hopfen gehöre zu den Pflanzen, „die es uns ermöglichen sollen, durchzuhalten.“ Denn: „Vor dem Kriege führten wir 470 Milionen Kilogramm Baumwolle ein, die uns jetzt fehlen, sodass jetzt 97 v. H. aller deutschen Baumwollspinnereien still liegen.“ Sprich, die Herstellung von Hopfenfasern war seiner Meinung nach eine kriegsbedingte Notwendigkeit, um die Niederlage im seit vier Jahren anhaltenden Gemetzel der Nationen doch noch zu vermeiden.
Bekanntlich war der Erste Weltkrieg schon zwei Monate später vorbei, so dass Dammers Initiative ins Leere lief. In den folgenden Jahren tat sich wenig. Bis im September 1934 der bayerische Landesinspektor für Hopfenbau und Geschäftsführer der Hopfenforschung, Hugo Hampp, einen kleinen Bericht verfasste. Thema: „Verwendung von Hopfenreben zur Fasergewinnung.“ Hampp betrachtete das Problem praxisnah und gleichzeitig von der Forschungsseite: nach der Hopfenernte müssten die vielen Inhaltsstoffe in der Rebe – Eiweiße, Zucker, Mineralien – die Möglichkeit haben, in den Stock zurückzufließen. Man solle also die Reben nicht zu früh abschneiden. Ob dann aber die Rebe noch für die Herstellung von Textilfasern geeignet war, müsse erst einmal geklärt werden.

Die Stimmung war nicht unbedingt schlecht: Arbeiterinnen bei der Rebenverarbeitung in Wolnzach, um 1942.
Besonders brisant waren Hampps Ausführungen auch deshalb, weil er sie mit dem Satz einleitete: „Es ist klar, daß wir alles tun müssen, um den Rohstoffbedarf an Fasern im eigenen Lande zu decken.“ Warum das? Zwei Jahre später wurde klar, was damit gemeint war. Adolf Hitler persönlich erließ am 18. Oktober 1936 eine „Verordnung zur Durchführung des Vierjahresplans“ und beauftragte mit ihrer Durchführung keinen geringeren als einen seiner engsten Vertrauten, Hermann Göring. Kurz gesagt, sollte mit diesem Plan erreicht werden, dass innerhalb von vier Jahren Deutschland soweit unabhängig von Lieferungen aus dem Ausland sei, um wirtschaflich kriegsfähig zu sein. Bei Textilien hieß das vor allem: unabhängig von Baumwollieferungen aus Überseegebieten. Hierbei sollte der Hopfen einen wichtigen Beitrag leisten.

Brüderchen und Schwesterchen – im Hopfenrebenland. Dieses Märchen wurde zur Einweihung 1940 vorgetragen.
Einem oberfränkischen Unternehmer namens Georg Lattemann gelang dann die Entwicklung einer erfolgversprechenden Technik. Er gründete eine „Hopfenrebenaufschließungsgesellschaft K.G.“ mit Sitz in Bremen und wandte sich an den Markt Wolnzach wegen der Errichtung eines entsprechenden Verarbeitungsbetriebes. Die Lage der geplanen „Hopfenstracklfabrik“, wie sie die Wolnzacher später tauften, war nicht ganz zufällig gewählt: einerseits direkt im Anschluss an den Wolnzacher Bahnhof, um den Abtransport der fertigen Textilballen leicht bewerkstelligen zu können. Andererseits direkt neben der Wolnzach, dem kleinen Flüßchen, das durch die Hopfenmetropole fließt. Denn Wasser brauchte es für das „Rösten“ genannte notwendige Einweichen der Reben, um dadurch die Fasern besser aufschließen zu können. Von der Flachsverarbeitung seit langer Zeit bekannt. Der Bau begann 1939. Bis zur Fertigstellung der Fabrik stellte man in der Wolnzacher Ausbereitungshalle (Präparieranstalt) einige Räume zur Verfügung und startete dort mit der Fasergewinnung. Mittlerweile herrschte wieder Krieg.

Das „Rösten“, das Einweichen der Reben war besonders wichtig, um die Fasern aufschließen zu können.

Prominenz am Einsatzort. Einer der Herren ist vermutlich Erfinder Georg Lattemann. In der Mitte Pflanzerverbandschef Adolf Rebl.
Für die Bauern sollte es also nicht mehr viele Möglichkeiten geben, sich der Sache zu verweigern. Schließlich war die Rebenverarbeitung mittlerweile als kriegswichtig eingestuft. „Die Hallertauer Hopfenbauern beweisen durch die Ablieferung der Hopfenreben neuerdings, daß sie auch dann ihren Mann stellen, wenn es heißt, am Aufbau der deutschen Wirtschaft mitzuhelfen.“ Meinte 1940 Adolf Rebl, Geschäftsführer der Hopfenpflanzerverbände Hallertau und Jura. So lagerten im Herbst die angelieferten Reben in riesigen Haufen am Ortsausgang von Wolnzach. Vor der Anlieferung waren die Drähte aus den Reben herauszuziehen. Über 50 Frauen und Mädchen waren damit beschäftigt, sie von restlichen Blättern zu befreien, auf verarbeitbaren Mengen zu stapeln, die Haufen mit Wassern berieseln und in großen Dreschwägen von den holzigen Bestandteilen zu befreien. Auch die übrigen Bestandteile aus der Rebe wollte man weiterverwenden: Holzabfälle in der Papierindustrie, Schleimstoffe als Emulsion für Kunstleder oder Kunstpappe. Der erste Waggon mit Hopfenwolle und Hopfenholz fuhr kurz vor Weihnachten 1940 am Wolnzacher Bahnhof los.

Rebenanlieferung 1: Eine Gewaltige Ladung. Mitfahren am Kutschbock war nicht mehr möglich.

Rebenanlieferung 2: Mit dem Schlüter-Traktor ging es etwas bequemer.
Was in den Folgejahren dann tatsächlich in und um die Stracklfabrik passierte, ist allerdings heute nicht mehr eindeutig zu klären. Jedenfalls scheint es bei der Ablieferungspflicht der Hopfenreben geteilte Meinungen gegeben zu haben. Lattemann, Hampp und Rebl waren der Auffassung, dass eine solche bestand. Scheinbar nicht wenige Hopfenbauern, insbesondere auch die in anderen Anbaugebieten wie Spalt oder Hersbruck oder auch im Saazer Land, das mittlerweile zum großdeutschen Reich gehörte, sahen das anders. Die Versorgung der Fabrik scheint nie richtig organisiert worden zu sein. Die zunehmend düstere Kriegslage düfte das ihre dazu beigetragen haben.
Ein späterer Berichterstatter meinte jedenfalls, dass der Betrieb in der Fabrik nie wirklich an den Start ging. Fabrikant Lattemann verschwand irgendwann spurlos von der Bildfläche und 1945 beschlagnahmte die Wehrmacht das Gebäude kurzerhand als Nachschublager. Zum Kriegsende wurde das Lager geplündert, die Halle blieb als leerstehendes Mülllager übrig. Die großen Rebenhaufen neben der Fabrik waren da längst schon in Flammen aufgegangen. Aus Angst vor dem gefürchteten Hopfenschädling Hirsezünsler.

Baustelle Stracklfabrik. Die Sicherheit am Bau entspricht nicht mehr ganz den heutigen Vorschriften.
Schließlich kaufte der Wolnzacher Hopfenhändler Josef Trapp nach Kriegsende die Halle und machte daraus eine Hopfenaufbereitungsanstalt. Später übernahm sie der Wolnzacher Fuhrunternehmer Lorenz Thoma, einer der wichtigsten Spediteure für Hopfen in der Hallertau.
Die Idee, Hopfenreben zu Textilfasern zu verarbeiten, kam über theoretische Überlegungen nie mehr hinaus.