Firmenschild an der großen Hopfen-Ballotpresse
Bitterstoff, Blog | Donnerstag 01.08.2024

Deutsche Wertarbeit

Wie die große Hopfenpresse ins Museum kam

Von Christoph Pinzl

Es dürfte so Ende 1998 gewesen sein. Im Buch „Das andere Tübingen“, herausgegeben vom Marburger Volkskundeprofessor Martin Scharfe, entdeckte ich Aufnahmen einer „elektrisch betriebenen Hopfenpresse“, so stand es dort. Um 1885 hatte die der Tübinger Hopfenhändler Ferdinand Hoch in sein Hopfenmagazin einbauen lassen. Gebaut und geliefert 1889 von der Nürnberger Maschinenbaufabrik Spaeth. Zu diesem Zeitpunkt wussten wir so gut wie nichts über Hopfenpressen. Ebenso wenig wie von einstigen Hopfenhändlern im schwäbischen Tübingen. Nichtsdestotrotz war da eine beeindruckende Maschine zu sehen. Es dauerte ein wenig, bis mir auffiel, dass die Fotos nicht etwa historisch, sondern im Vorfeld der Bucherstellung aufgenommen worden waren. Das Buch stammte von 1978. Scharf kombiniert: Könnte es folglich sogar sein, dass die Familie Hoch noch immer in Tübingen wohnte? Vielleicht sogar die Presse noch so dastand wie im Buch zu sehen?

Es konnte. Sie stand. Das Telefonbuch – damals ein Informationsmedium erster Wahl – verriet die Tübinger Adresse der Hochs. Mittlerweile vertreten von Ingrid Hoch-Carstens, der Urenkelin des Firmengründers. Ein erster vorsichtig formulierter Briefwechsel: sehr geehrte, wir sind hier das Hopfenmuseum, das Deutsche, uns interessiert auch das Schwabenland, wir haben da so Fotos gefunden, ist da vielleicht noch etwas übrig, dürfte man eventuell sogar mal einen Blick drauf werfen, wäre es sogar möglich, dass – so in der Art.

Das Magazin der Hopfenhandlung Hoch im Jahr 1998. Knapp 40 Jahre lang hatte es stillgelegt vor sich hingeschlummert. Dann kamen wir.

Tja, hin und wieder gelingen solche Clous. Quasi Highlights in einem Museumsleiter/innenleben. Die eine spürt einen verschollenen Van Gogh auf, der andere entdeckt das über 100 Jahre alte Magazin eines Hopfenhändlers. Inklusive Firmenakten à la Verkaufsbüchern, Einbauplänen, Korrespondenz.

Und wir rannten offene Türen ein. Bemerkenswert allein der Grund, warum das Ganze noch an Ort und Stelle stand. Hoch hatte einst – im „Hopfen-Goldrauschjahr“ 1860 – sein Wohnhaus in Tübingen erworben und dahinter das Hopfenmagazin gebaut. Damals noch vor den Stadttoren, quasi auf der grünen Wiese, wie bei Hopfenhändlern üblich. Mit ihren brand-gefährlichen Hopfendarren waren sie in der Enge der historischen Altstädte nicht gern gesehen. Ätzende Dämpfe aus ihren Hopfen-Schwefeldarren ruinierten darüber hinaus die kostbaren Fassaden der Bürgerhäuser. Bis Anfang der 1960er Jahre war die Firma Hoch aktiv. Dann wurde das Licht im Magazin ausgeschaltet und es passierte nichts mehr. Ein Abriss oder auch nur ein Umbau der Gebäude war inzwischen schwierig geworden. Aus der Vorstadt war das Stadtzentrum geworden. Landratsamt, Universität, Stadtmuseum hießen jetzt die neuen Nachbarn der Hochs. Ausräumen, Sanieren, Neubau, so mittendrin in der Stadt? Sehr aufwändig. Also blieb einfach alles unverändert.

Die große Hopfen-Ballotpresse, um 1940.

Gut für das Deutsche Hopfenmuseum. Gut für die Familie Hoch, dass es das Hopfenmuseum gab. Perfekte Win-Win-Situation. Nach einem Besichtigungstermin wurde man und frau sich schnell einig: wir durften gerne alles mitnehmen, vorausgesetzt, wir bauten es selber ab und transportierten es eigenständig nach Hause. Alle waren froh.

So zog im Frühsommer 1999 eine bunt zusammengewürfelte Mannschaft los auf Abenteuerreise ins ferne Schwaben. Mit dabei ein alter Haudegen vom Wolnzacher Bauhof, zwei Lehrlinge aus der Elektrofirma des Museumsvereinsvorsitzenden, ein polnisches Kraftpaket aus der Firma des Herrn Bürgermeister – und der akademisch ausgebildete Museumsleiter. Nicht unbedingt ein Spezialtrupp zur Demontage schwerer Industriemaschinen.

Alle Hände voll zu tun (der einzig sinnvolle Text an dieser Stelle…).

Dementsprechend fiel auch die erste Inaugenscheinnahme nach der Ankunft in Tübingen aus. Unvergessen die Blicke der vier Demonteure. Wie? Die abbauen? Das Trum? Wir? Der Hinweis auf meine fehlenden Tassen im Schrank, wäre eine sehr freundlich geglättete Umschreibung der geäußerten Kommentare.

Als dann die Sicherung wieder eingeschraubt war und man vorsichtig den Schalter umlegte, stieg allerdings schon ein wenig die Faszination. Deutsche Wertarbeit, ohne Zweifel. Fast 30 Jahre Stillstand hatten die Maschine nicht im Geringsten beeindruckt. Rauf und runter fuhr die schwere Zahnstange, so reibungs- und geräuschlos, als wäre sie vorgestern zum letzten Mal gelaufen. Nur Hopfen war keiner mehr da zum Einpressen.

Da war sie schon weitgehend zerlegt, die Hopfenpresse.

Irgendwie kam es dann doch zum Lösen der ersten schweren Mutter am Gehäuse der Presse, zum Ausschrauben der ersten Gewindestange, zum Hochheben der ersten Wellen und Kurbeln. Zum Glück fiel uns relativ früh auf, dass ein munteres Anhäufen von Schrauben, Wellen und Lagern zwar den Abbau voranbrachte, beim späteren Wiederaufbau jedoch zu gewaltigen Problemen führen würde. Es gab ja keinerlei Aufbaupläne, Montageanleitungen oder ähnliches mehr. Und falls es sie überhaupt je gegeben hatte, hatten sie bei den Hochs nicht überlebt. Heute würde man Tablet oder Handy zücken und serienweise jedes einzelne Bauteil fotografieren oder am besten gleich alles per Video festhalten. Damals, im Prä-Smartphone-Zeitalter, rettete uns eine Polaroidkamera aus dem Fotoladen der nahen Innenstadt. Für die Jüngeren: eine Kamera, die unmittelbar nach dem Auslösen einen fertigen Bildabzug auswarf, der sich dann sofort mit Beschriftungen, Pfeilen, Zahlen aus dem wasserfesten Filzstift verzieren ließ. Was wäre wohl am Sonntag passiert, bei geschlossenem Fotoladen? Oder wenn das Hoch´sche Hopfenmagazin in einer Kleinstadt ohne Fotostudio gestanden hätte?

Polaroidbilder, um die Puzzleteile später wieder richtig zusammenfügen zu können.

Doch das Glück war uns hold. Nach ein paar Tagen lag die Ballotpresse tatsächlich komplett zerlegt vor uns, der überwiegende Teil im Obergeschoss des ehemaligen Hopfenmagazins. Dann wurde es noch einmal kritisch. Denn die Kranfirma, mit der eigentlich vereinbart war, dass sie uns beim Herunterheben der Maschinenteile helfen sollte, war plötzlich nicht mehr zu überreden. Alles viel zu eng und dann auch noch mitten in der Stadt, ja wie soll das gehen. An den räumlichen Umständen hatte sich zwar seit den vorbereitenden Gesprächen nichts geändert, aber was soll´s, wie brauchten eine andere Lösung.

Ein Durcheinander von Einzelteilen.

Diesmal half uns der Wolnzacher Bauhof aus der Klemme. Nachdem wir dem damaligen Bauhofleiter unser Malheur am Telefon geschildert hatten, er vor unserem geistigen Auge dutzende Male die Hände über dem Kopf zusammengeschlagen und sich zu Recht über so viel Naivität gewundert hatte, bestieg er höchstpersönlich den Bauhof-LKW samt Ladekran und fuhr die drei Stunden rauf nach Tübingen. Für den Rücktransport hatte er den Wolnzacher Hopfen-Fuhrunternehmer Thoma mit dabei. Und wieder war das Glück auf unserer Seite. Der Bauhof-Kran reichte zentimetergenau gerade so weit nach oben, dass die schweren Teile heruntergehoben und auf der Ladefläche verstaut werden konnten. Nach rund einer Woche Arbeit war schließlich alles im Wolnzacher Notdepot verstaut.

Abtransport der Einzelteile mit dem Bauhof-Kran.

Rund fünf Jahre später dann Wiederaufbau im mittlerweile fertiggestellten neuen Hopfenmuseums-Gebäude. Es stellte sich zwar heraus, dass einige Nummernetiketten an den Bauteilen sich beim Transport auf Nimmerwiedersehen verabschiedet hatten. Und dass ein paar Raummaße aus Tübingen vergessen und nicht mehr zu rekonstruieren waren. Und dass so einige Schrauben und Muttern seltsamerweise einfach übrigblieben. Und noch so ein paar Sachen.

Doch auch diese letzten Hürden konnten überwunden werden. So hat nun die schwere Ballotpresse aus Tübingen im Deutschen Hopfenmuseum in Wolnzach eine neue Heimat gefunden. Gut 25 Jahre ist das nun schon wieder her. Soweit bekannt, das einzige noch existierende Exponat seiner Art, im Originalzustand, fertig montiert und betriebsbereit. Ein beeindruckendes Zeugnis einer längst vergangenen Ära der Hopfenhandelshäuser, die einst das Stadtleben prägten. In Nürnberg, Bamberg, Fürth – und in Tübingen.

So steht sie heute im Deutschen Hopfenmuseum, die alte Ballotpresse aus Tübingen. Das einzige noch existierende Exemplar seiner Art.