Trachtenumzug in München anläßlich des Oktoberfestes
Bitterstoff, Blog | Mittwoch 02.04.2025

Kleider machen Hopfenleute

Was die Hallertauer Tracht mit dem Hopfen zu tun hat – und was nicht

Vor ungefähr 200 Jahren entdeckte man die sogenannte „Volkskultur“. Hauptsächlich Leute aus der Stadt, Gebildete, Wohlhabende entdeckten sie. Also eher Herrschaften, die sich selbst eher weniger dem Volk zugehörig empfanden. Von vornherein ging es darum, etwas retten zu müssen. Alte Dinge, von denen man glaubte, dass sie verschwanden, bedroht waren, dem Untergang geweiht. Bedroht von Maschinen statt Handarbeit, von Zeitung und Telefon statt mündlicher Überlieferung, schnellen Transportmöglichkeiten wie der Eisenbahn, Verstädterung, Bildung für alle, politischer Mitsprache usw. usf. Die rettungswilligen Stadtbürger glaubten, diese alte Kultur vor allem auf dem Land finden zu können. Wobei wichtig war, dass man vor die jeweilige Kulturform immer ein „Volks-“ heftete oder wahlweise auch ein „Bauern-“: Volkslied, Volksmusik, Volkserzählung, Volksbrauch, Volksreligion ­­– Bauernmöbel, Bauernhäuser, Bauernkeramik. Was auch immer im Einzelnen damit gemeint war. Und natürlich auch Volkstrachten. Schon der Begriff „Tracht“ wies ja darauf hin, dass es hier nicht einfach nur um Kleidung ging. Kleidung war abhängig vom Wohlstand der Leute, vom Klima, von den Lebensverhältnissen. Ganz besonders: von der Mode. Bei der Tracht dagegen schien alles anders. Da drückte sich irgendetwas Altes, Traditionelles aus, etwas, das an eine bestimmte Region gebunden war, an etwas, das die Träger der jeweiligen Tracht miteinander verband. Mode kam dort nicht vor, die kam ja aus der Stadt.

Schild am Ortseingang von Au i.d. Hallertau, um 1980.

Schild am Ortseingang von Au i.d. Hallertau, um 1980.

Dieser Logik gemäß wäre es also naheliegend gewesen, dass es auch eine irgendwie geartete „Hopfentracht“ gab oder wenigstens, je nach Anbaugebiet, verschiedene Hopfentrachten. Genau die gab es aber nicht und das lag schlicht daran, dass die Logik der verschwindenden Volkskultur in Wirklichkeit völlig unlogisch war.

Am besten lässt sich das am heute größten aller Hopfengebiete nachvollziehen, der Hallertau. Als vor rund 200 Jahren der Hopfen anfing, wichtig zu werden, löste sich hier das alte Leben schon mehr und mehr in Luft auf. Denn der Hopfen war der Auslöser, die Ursache, der Beschleuniger dafür, dass sich etwas veränderte. Hopfen war keine traditionelle Landwirtschaft mehr. Bauern kümmerten sich über Jahrhunderte darum, sich selbst und ihre Umgebung zu versorgen, vor allem auch ihre adeligen Grundherren. Man produzierte für den Eigenbedarf, nicht für irgendeinen „Markt“. Mit dem Hopfenbau war Schluss mit einem solchen Denken. Hopfenbauern brauchten einen überregionalen Bier- und Braumarkt, selber essen konnten sie das grüne Gold ja nicht. Wer vom Hopfengoldrausch profitieren wollte, orientierte sich schon 1860 daran, was Brauer in Argentinien oder Russland oder zumindest in Oberschwaben wünschten. Zumindest musste er einen Hopfenhändler kennen, der sich um so etwas kümmerte. Außerdem brauchte er eine Menge moderne Errungenschaften wie Eisenbahn, Telegraf, Zeitungen, Pflanzenschutzmittel, Kunstdünger, Holzsäulen, Draht oder Schnur, Brennstoff, Arbeitskräfte, alles Dinge, die er gar nicht oder nur schwierig selber bereitstellen konnte.

Auch eine Art von „Hopfentracht“: Weste in Hopfensack-Optik

Auch eine Art von „Hopfentracht“: Weste in Hopfensack-Optik

Wer alles richtig gemacht und darüber hinaus eine gehörige Portion Glück hatte, konnte viel Geld verdienen, sehr viel Geld. Hopfen-Goldrausch, Hopfen-Roulette, man kennt die Stichworte. Die Hallertauer hatten immer wieder Glück, bewiesen häufig das richtige Händchen, das rechte Gespür für das, was gerade angesagt war. Besonders verlockend am Hopfen war auch, dass nicht mehr wie bisher immer nur die eh schon Wohlhabenden, die Großkopferten zum Zuge kamen. Auch der kleine Mann erhielt seine Hopfen-Chance. Wohlstand für Alle. Jedenfalls theoretisch, als Lichtschein am Horizont. Eine entscheidende Voraussetzung war, dass der versprochene Wohlstand auf alle Fälle in den eigenen Geldbeutel floss und nicht in den irgendeines adeligen Grundherren. Die Bauernbefreiung von 1848 hatte hierzu den Grundstein gelegt.

Wie sehr der Hopfen ab ungefähr 1850 die Verhältnisse in der Hallertau durcheinandermischte, lässt sich heute nur mehr näherungsweise rekonstruieren. Für die auf Moral und Sitte bedachten Pfarrer in der Hallertau zum Beispiel schien damals der Hopfen Sodom und Gomorrha  auszulösen. Protz und Völlerei aller Orten. Die Leute kannten ihren Platz nicht mehr, da der Hopfen „auf den sittlichen Zustand der Gemeinde den nachtheiligsten Einfluß ausübte.“

Und was hatte all das jetzt mit der Tracht zu tun? Wenn man alte Beschreibungen aus dem 18. und vom Anfang 19. Jahrhundert zur Kleidung der Hallertau liest – damals meistens noch nicht als Tracht bezeichnet – fällt auf, dass diese Kleidung keineswegs ein einheitliches Bild abgab. Mit dem, was man heute gerne als „typisch Hallertauer Tracht“ bezeichnet, hatte das Ganze noch nicht viel zu tun. Erst mit dem zunehmenden Erfolg des Hopfens veränderte sich das Erscheinungsbild. Seidene Westen und Kleider, Otterfellhauben, lange Gehröcke, Faltenstiefel, Ketten, Uhren, Silberknöpfe dutzendweise, der Einfachheit halber oft gleich als umfunktionierte Geldmünzen mit Öse. Dieses Gwand, besonders das für die Männer, war eine mächtige Investition. Ist es bis heute geblieben. Wer es richtig machen will, bezahlt Tausende. Ein unübersehbarer Ausdruck von Wohlstand. Und Mode.

Insofern scheint es also tatsächlich so gewesen zu sein, dass die Tracht, die wir heute als „hallertauerisch“ bezeichnen, sich erst mit dem Siegeszug des Hopfens etabliert  und verfestigt hat. Somit ließ also genau das, was ja angeblich den Tod der alten Kultur verursachte, erst die typisch regionale Tracht entstehen. Die Untergangslogik der bürgerlichen Volkskulturretter war eben nicht wirklich logisch.

Dass das, was in Wolnzach und Geisenfeld als Tracht getragen wurde, eigentlich mehr mit dem Dachauer Land als mit der Gegend nördlich von Mainburg zu tun hatte, passte gut in die regionale Logik oder besser Unlogik. Denn der Hopfen brachte unter dem Begriff „Hallertau“ Landstriche und somit auch Kleidungskulturen zusammen, die bis dahin so gut wie nichts miteinander zu tun hatten. Die Hallertau war und ist bis heute da, wo der Hopfen wächst. Die Bewohner von Langquaid verband wenig mit denen von Schrobenhausen, die von Nandlstadt nichts mit denen von Abensberg. Außer dem Hopfen.

Hallertauer Tracht auf der Grünen Woche Berlin, 2025, zusammen mit mehreren Produktköniginnen.

Hallertauer Tracht auf der Grünen Woche Berlin, 2025, zusammen mit mehreren Produktköniginnen.

Zu mehr Hopfenbezug als über den Faktor „Wohlstand“ hat es bei der Hallertauer Tracht deshalb auch nie gereicht. Auch wenn sich die Wahrnehmung nach außen durch Dinge wie den Oktoberfestumzug oder das Bayerische Fernsehen, wo immer wieder auch die Hallertauer Tracht auftauchte, auf Dauer etwas gefestigt hat. Hopfendolden oder Hopfenreben als Ziermotiv sucht man aber auf den Trachten seit jeher vergeblich. Dass die üppige Trachtenkleidung niemals irgendetwas mit dem Leben und Arbeiten am Hopfenhof, im Hopfengarten oder an der Pflückmaschine zu tun hatte, versteht sich ohnehin von selbst. In sündteuren Faltenstiefeln stand nie ein Hopfenbauer in seiner Darre herum.

Anders als die Trachten aus dem Oberland, den Voralpen oder den bayerischen Seen hat sich die Hallertauer Tracht bisher vor jeder Art von Verseppelung bewahren können. Gebirgstrachtler führten schon um 1900 ihre Heimatabende mit Lederhos´n und Gamsbart vor begeisterten Touristen aus Nah und Fern auf. Das Schlierseer Bauerntheater reiste 1895 gleich direkt in die Vereinigten Staaten, um den Amis ihr Bayernabziehbild vorzuspielen. So was musste die Hallertauer Tracht bisher noch nicht erdulden. Wenn man so will, passt das wieder sehr gut zum Hopfen. In Hopfengegenden hat der Tourismus mit all seinen unangenehmen Folgen bekanntlich nie so richtig Fuß fassen können. Wer also bayerisches Landleben richtig authentisch erleben möchte, fährt deshalb am besten ­­- in die Hallertau. Besucht regionale Feste wie das Hopfenzupferfest in Siegenburg oder die Wahl der Hopfenkönigin in Wolnzach. Dort sieht man auch viele Menschen in Tracht, die sich allerdings wenig um die Vorgaben des Fremdenverkehrsverbandes scheren. Den gibt es hier ja auch nicht wirklich.

Volkstanz in Siegenburg, 1983 (Foto: Peter M. Busler, München)

Volkstanz in Siegenburg, 1983 (Foto: Peter M. Busler, München)

Die Hallertauer Tracht ist selten geworden. Vielleicht war sie auch gar nicht so häufig zu finden, wie mancher Heimatforscher glauben lassen will. Eine Art Hallertauer Hopfenheimatfest, wo alle Hopfenbauern und -bäuerinnen in der gleichen Trachtenuniform herumlaufen, hat es ohnehin nie gegeben. Vielleicht braucht es dazu erst irgendeine Bedrohung von außen und anschließende Rettungsversuche. Auf beides kann man aber getrost verzichten.

Titelbild: Der Mainburger Trachtenverein beim Trachtenumzug in München, 1981 (Foto: Peter M. Busler, München).

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