Hopfenpflücker in der Hallertau, um 1928
Bitterstoff, Blog | Freitag 31.01.2025

Majestät Hindenburg und der Hopfen

Wie eine Kleinbauernfamilie den Reichspräsidenten um Hilfe bat

Von Christoph Pinzl

Das Jahr 1928 war eigentlich ganz gut losgegangen. Seit langer Zeit schaute es wieder besser aus für die gebeutelten Hopfenbauern. Der Weltkrieg war nun seit zehn Jahren vorbei, ebenso wie die Inflationszeit von 1923 mit ihren absurden Milliarden und Billionen. Auch das Übel der letzten Jahre mit der neuartigen Pilzkrankheit Peronospora hatte die Hopfenwelt für´s Erste in den Griff bekommen. Wenn auch mit viel Aufwand, nicht zuletzt finanziellem. Aber heuer schien alles zu passen. Sogar das Wetter hatte mitgespielt. Endlich fiel die Ernte wieder hervorragend aus, die Reben hingen schwer gefüllt mit Dolden in den Hopfengärten. Deutschlands Brauer warteten schon ganz ungeduldig auf den Hopfenrohstoff. Die Leute tranken wieder Bier, die Geschäfte liefen gut. Und so wie es aussah, reichte selbst diese Top-Hopfenernte nicht, um den geplanten Bierausstoß abzusichern. Einige Braubarone hatten bereits Bestpreise signalisiert. 300 Reichsmark wollten sie heuer auf alle Fälle bezahlen, für jeden Zentner Hopfen. Was wollte man also mehr.

Aber irgendwie lief dann doch wieder alles aus dem Ruder. Anfang September sah die Lage noch sehr gut aus auf dem Hopfenmarkt. Aber Ende des Monats brach der Verkauf plötzlich zusammen. Nicht alle Hopfenhändler hatten Lust, sich die Preise von den Pflanzern diktieren zu lassen. Als sie dann bei den Wolnzacher und Mainburger Hopfenbauern vorstellig wurden und die nur lässig und ein wenig hochnäsig drei Finger (für 300 Mark) hochhoben, zogen die Händler genervt wieder ab. Und deckten sich anderswo ein. Denn gute Ernten hatte es auch andernorts gegeben, nicht  zuletzt im Ausland. Was zur Folge hatte, dass die Preise im Keller blieben und die Hallertauer Bauern zu guter Letzt den Hopfen weit unter Marktwert und oft sogar unter den Produktionskosten verramschen mussten.

So richtig gut war die Stimmung nicht im Erntejahr 1928, hier auf dem Hof von Nikolaus Hausl in Walkersbach (zwischen Pfaffenhofen und Wolnzach).

„Schlechte Laune“ war ein bisschen zu schwach, um die Stimmung unter den Hopfenbauern angemessen auszudrücken: „Eine furchtbare Erregung und terroristische Stimmung hat unter den Hopfenbauern bereits Platz gefunden“, meldete der Deutsche Hopfenbau-Verband besorgt an die Reichsregierung. Und heftete einen ganzen Maßnahmenkatalog an das Schreiben, mit dem die Regierung den Bauern aus dem Schlamassel helfen sollte.

Einem Hallertauer Kleinbauernpaar ging das nicht schnell genug. Vielleicht hatten sie auch zu viele süßliche Illustrationen in Wochenblättern wie der „Gartenlaube“ oder der „Illustrierten Welt“ gesehen. Über die Güte von Königen und Königinnen oder ähnliches. Jedenfalls nahmen sie die Sache selbst in die Hand und schrieben kurzerhand einen Brief. Nach Berlin, an seine „Maijestet“, Herrn „Landesvater Hindenburg“. „In grosser Not“ seien sie, weil „kein Handel in der Hallertau nicht geht“. Und wenn, dann mit einem „solchen Schundpreis, mit dem man die Unkosten nicht bezahlen kann, von Schulden zahlen keine Rede“. Langer Einleitung, kurzer Sinn: „Liebster Landesvater Hindenburg kaufen sie uns den Hopfen ab. Sie haben ja auch Brauereien. Sind sie gütig und barmherzig und lassen eines ihrer Landeskinder nicht zu Grunde gehen“. 8-10 Ballen seien noch übrig „und bitten wären halt 300 Mark pro Zentner“. Da waren sie wieder die 300 Mark, die drei Finger sparte man sich diesmal. Immer dringlicher wurde die Bitte, „verstoßen´s uns nicht, Sie haben noch immer dem Volke geholfen“. Und weil man seine Kundschaft kannte, noch die Versicherung: „Wenn sie wünschen schicken wir ihnen zuerst ein Muster. Damit sie sehn welch prima Ware“. Zum Schluss noch ein, „sind sie vielmals gegrüsst v. seiner Maijestet“, womit sich der Hopfenbauer sicher nicht selber meinte.

Von einem Amtmann angefertigte Abschrift des Briefes an Reichspräsident Paul von Hindenburg von 29.10.1928. Für die Anonymisierung wurden einige Stellen retuschiert.

Man muss den Brief ein paar Mal lesen und kann ihn trotzdem nicht fertig einordnen. Nun war Paul von Hindenburg auf alle Fälle keine königliche „Majestät“, sondern seit 1925 Reichspräsident im Deutschen Reich. Als „Held“ der Schlacht von Tannenberg in Ostpreußejn hatte er im Ersten Weltkrieg zusammen mit Erich Ludendorff die „Oberste Heeresleitung“ übernommen und war somit nicht ganz unschuldig am Tod von Millionen Menschen und dem Zusammenbruch des Reiches. Maßgeblich beteiligt war er auch an einer der unseligsten Verschwörungstheorien der Geschichte, der sogenannten „Dolchstoßlegende“, der gemäß die Niederlage im Krieg nur durch sozialistische und demokratische Umtriebe im Reich zustande gekommen wäre. Nicht zuletzt dadurch hatte es Hindenburg geschafft, sich in der Öffentlichkeit als eine Art Lichtgestalt zu präsentieren, der man trotz der Rolle im Krieg ein paar Jahre später schon wieder die Reichspräsidentschaft antrug. Dass ausgerechnet er „immer dem Volke geholfen“ haben soll, entspricht dabei einer sehr eigenwilligen Logik. Und als Bierbrauer war er bisher auch nicht unbedingt bevorzugt in Erscheinung getreten. Ob Hindenburg persönlich jemals das Schreiben zu Gesicht bekommen hat, ist nicht überliefert, darf aber bezweifelt werden. Und wenn, hätte er vermutlich wohl kaum wie ein großherziger „Landesvater“ mit Vollbart und gütigem Lächeln den armen Bauersleuten aus dem fernen Bayern über den Kopf gestrichen und Hilfe zugesagt.

Russische Kriegsgefangene während des Ersten Weltkriegs, 1916, auf einem Bauernhof in Eschelbach nahe Wolnzach.

Mit all seinen Rechtschreib- und Formulierungsfehlern, mit seiner verwegenen Mischung aus Unterwürfigkeit und Gschäftlmacherei ist man erstmal versucht, den Brief in die Abteilung „kuriose Gaudi“ abzukanzeln und sich lustig zu machen. Aber die Verzweiflung war echt und alles andere als eine Gaudi. Und der briefschreibende Hopfenbauer kalkulierte auch recht kühl und gar nicht so märchenhaft, wenn er nach seinem Gruß an Hindenburg noch ein „stand auch 4 Jahr auf dem Felde der Ehr“, anheftete. Nicht dem Hopfenfeld, sondern dem Schlachtfeld des Ersten Weltkrieges.

Freskobild „Heimkehr“ in der Vorhalle der Kriegsgedächtniskapelle Eschelbach nahe Wolnzach, eingeweiht 1922.

Das Jahr 1928 war also schlecht, aber das Folgejahr 1929 war noch schlechter. Weltwirtschaftskrise und heillose Überproduktion ließen den Hopfenmarkt endgültig zusammenbrechen. Mit ihm zahllose Hopfenbauernexistenzen unter einer nicht mehr zu bewältigenden Schuldenlast. 70% der kleineren und mittleren Hopfenhöfe konnten ihre fälligen Abgaben nicht mehr leisten. In den Folgejahren kamen allein im Zentrum der Hallertau ganze 186 Anwesen unter den Hammer. Zwangsversteigert mit ihnen runde 3800 Hektar – nicht weniger als 18% – der gesamten landwirtschaftlichen Fläche.

Bis 1933 ein Mann namens Adolf Hitler an die Macht kam und den Bauern vorgaukelte, dass nun alles besser würde. Als sein Steigbügelhalter ins Amt des Reichskanzlers bewährte sich übrigens ein gewisser Paul von Hindenburg.

Kleinhopfenbauern traf die schlechte Marktlage seit Ende der 1920er Jahre besonders hart. Viele Höfe wurden zwangsversteigert. Hallertau, um 1920.