Gruppe von Hopfenzupfern, 1931 in Obermünchen (Hallertau)
Bitterstoff, Blog | Mittwoch 03.08.2022

Obermünchener Geschichten

Ein Kunstwerk von einem Foto

von Christoph Pinzl

Fotografieren ist und bleibt eine Kunst, auch wenn heute der schnelle Schuss aus dem Mobiltelefon den Aufwand etwas verringert hat. Als dieses Bild entstand, lagen die Dinge noch ganz anders.

Als sich im Spätsommer 1931 der Herr Landesinspektor für den Hopfenbau, Hugo Hampp, zu einem Besuch an den östlichen Rand der Hallertau aufmachte, hatte er wie immer seine gesamte Fotoausrüstung im Gepäck. Hampp war zwar Agrarfachmann und kein ausgebildeter Fotograf. Trotzdem brachte er es im Umgang mit der Kamera zu einer außergewöhnlichen Meisterschaft. Für Hampp war das Fotografieren berufliche Notwendigkeit und Passion zugleich. Er wurde zu einem der wichtigsten Chronisten der Hallertauer Hopfenbaugeschichte.

Obermünchen mit seinen rund 100 Einwohnern war zu dieser Zeit noch eine eigenständige Gemeinde. Heute ist es ein Ortsteil von Obersüßbach. Josef Radlmeier war der Besitzer von Haus Nr. 24, nebenbei Gastwirt und baute knappe zwei Hektar Hopfen an. Das wäre für heutige Maßstäbe ein Witz, aber damals gehörte er zu den größeren Hopfenbauern in der Hallertau und  war der größte in seiner Gemeinde. Seine Hopfenzupfer konnte er dementsprechend nicht mehr nur aus Dienstboten oder Nachbarn rekrutieren. Ob sie wie so viele der Erntehelfer damals aus dem Bayerischen Wald stammten, aus der Oberpfalz oder woher sonst, wissen wir nicht mehr.

Bemerkenswert an Hampps Fotoleidenschaft war, dass er viele seiner Motive mit der Großformatkamera einfing. Einige seiner Original-Negative befinden sich heute in der Sammlung des Deutschen Hopfenmuseums. Auch vom Bild aus Obermünchen blieb das Negativ im Format 9 x 12 cm erhalten. Hampp wird dafür mit ziemlicher Sicherheit mit dem Stativ gearbeitet haben, für den schnellen Schuss aus der Hüfte war seine Kamera viel zu groß.

Umso erstaunlicher ist die Stimmung, die er für die Ewigkeit festhielt. Üblicherweise fuhren professionelle Fotografen aus den nahegelegenen Märkten oder Städten in die Hopfengärten. Ihre Gruppenbilder funktionierten ein bisschen wie Klassenfotos. Ein Erinnerungsbild an besondere Zeiten, jeder auf dem Bild galt als potentieller Kunde, je mehr Leute auf dem Bild, umso besser. Bis alles arrangiert war, jeder am richtigen Fleck, in der richtigen Pose, niemanden verdeckte, die Augen offen, den Mund zu, konnte es dauern. Heraus kam zwar ein fotografisches Erinnerungsstück, tendenziell aber eher etwas steif geraten.

Gruppe von Hopfenzupfern, 1931 in Obermünchen (Hallertau)

Hopfenernte in Obermünchen (Hallertau), 1931

 

Das alles ist bei diesem Foto anders. Hampp wollte kein Geschäft machen. Ihm glückte ein auf Nitrofilm gebanntes Stück Lebendigkeit. Alte Hopfenbauern erzählen über die Hopfenernte früherer Tage gerne so, als wäre es dort zugegangen wie in einem Ferienlager. Stimmung, Gaudi, Schabernack. Wenn sich ein Hopfenzupfer-Gruppenbild erhalten hat, aus dem eine solche Gemütslage dem Betrachter förmlich entgegenspringt, dann dieses Bild aus Obermünchen. Erwachen heiterer Gefühle auf dem Lande, frei nach Beethoven. Die Stimmung ist aber nicht nur heiter, alle wirken entspannt, gelöst, aufgeräumt. Gerade so, als wäre die Hopfenernte weniger ein monotones Klein-klein-Gefrickel gewesen, als vielmehr eine beruhigende Lockerungsübung für Arme, Rücken und Geist. Hopfen-Qi-Gong.

Alle kommen rundweg sympathisch rüber, vom Fleck weg möchte man mit den meisten abends beim Bier zusammensitzen, mehr über sie erfahren, Freundschaft schließen. Überall deuten sich Geschichten an, Geschichten über die wir nichts mehr wissen, nur ein bisschen hinterherphantasieren können. Wurde etwas Längeres aus dem Paar in der Mitte oder war es nur eine Hopfenzupfer-Liebelei? Mit Folgen? Dann der Größenunterschied ihrer Hände. Was für eine Pranke. Und was denkt sich der gutaussehende Herr in der Mitte, wenn er die beiden leicht amüsiert betrachtet? Alles Gute? Oder regt sich doch ein bisschen Entrüstung über so viel verliebte Lockerheit?

Der Bub im Vordergrund amüsiert sich vermutlich noch immer über den Schabernack, den er am Abend vorher verbrochen hat und brütet gerade den nächsten Streich aus. Ob der junge Mann auf dem Sack später seine frühe Raucherei büßen musste? Der Zupfer mit der Schiebermütze links kriegt sich kaum ein über seinen Einfall, seine Kollegin auf die Schulter zu hieven. Die sieht aus wie die Stimmungskanone, immer ein lockeres Sprücherl auf Lager. Wer war die beste Zupferin? Eine Frau auf alle Fälle, die Frauen waren bei der Hopfabrock immer flinker als die Männer. Vielleicht die schlanke Frau rechts hinten? Aber warum legt sie dem älteren Herrn die Hand auf die Schulter? Ihr Vater? Der war jedenfalls schon lang dabei, das steht fest, ein treuer Helfer. Zwischen den beiden mit Schnauzer und Zigarett´l , leicht verdeckt, eher ein Schlawiner. Sicher ein guter Schafkopfspieler.

Hopfenzupfer im Hopfengarten

Flasche voll? Eine Menge Details für den, der genau hinsieht: die Bierflasche stammt von der Brauerei Wittmann aus Landshut, anders als der Bierkasten, der kam von der Schlossbrauerei in Furth. Beides nicht weit von Obermünchen entfernt. Auch der unge-wöhnliche Holzmetzen ist wieder im Bild. Nur mit dem Trinken wird es nicht ganz geklappt haben bei geschlossenem Bügelverschluss…

Die Kleidung ist wie immer eher zu warm gehalten, alle Männer tragen Westen, fast alle Hut oder Kappe, alle Frauen ein Tuch um den Kopf. Nur das Mädchen mit dem freundlichen Lächeln nicht. Wen ihr Engelsgesicht wohl später verzaubert hat?

Markant sind die vielen schlechten Zähne, die als Nebeneffekt der gelösten Stimmung ganz uneitel in die Kamera lachen. Ungewöhnlich der hölzerne Zuber zum Abmessen. Üblich waren in der Hallertau zu der Zeit blecherne Eimer mit Eichsiegel, Metzen genannt. Der Hopfen-Abmesser verrichtet seine Tätigkeit mit der konzentrierten Miene eines Amtsdieners. Auf einem anderen Bild, das Hampp mit der Kleinbildkamera geschossen hat, setzt er den gleichen ernsten Gesichtsausdruck auf. Richtig so, denn letzten Endes ging es ums Geld. Es war eben kein Ferienlager, auch wenn die Laune stimmte. Alle wollten verdienen, Zupfer und Bauer.

Interessant ist auch der Herr, der sich so dezent im Hintergrund positioniert hat. Die Stange, an der er sich festhält, lässt darauf schließen, dass das der Stangler war, der die Hopfenreben herunter stangelte. Die Zurückhaltung, die hier zum Ausdruck kam, war eher ungewöhnlich, auf anderen Bildern platzierten sich die Herren Stangler gerne selbstbewusst im Zentrum.

Hopfenernte in der Hallertau, 1931

Gleiche Miene, gleiches Amt: beim Abmessen war Schluss mit lustig. Der Herr links mit Pfeife diesmal bei der Arbeit, der Stangler lässt – ungewöhnlich – eine Frau seine Arbeit verrichten.

Wer die Hopfenzupfer/innen auf dem Foto wirklich waren, wissen wir nicht mehr. Es dürfte keine/r mehr von ihnen am Leben sein. Den meisten wird keine zehn Jahre später die gute Laune gründlich vergangen sein, einige der Männer kamen wahrscheinlich von den Schlachtfeldern des Weltkrieges nicht mehr zurück und die Frauen mussten zusehen, wie sie ohne Unterstützung ihrer Ehegatten ihre Familien durchbrachten.

Den Hopfenbaubetrieb Radlmeier gibt es noch heute und auch das Gasthaus wird weiterhin betrieben.

Hugo Hampp musste 1943 aus etwas dubiosen Gründen sein Amt niederlegen. Er starb 1954 zurückgezogen in seiner Freisinger Wohnung. Seine Bilder haben zum Glück überlebt.