Trockenhaus in Gutenstetten
Bitterstoff, Blog | Donnerstag 24.11.2022

Hopfendämmerung

Über das verschwundene Hopfengebiet Aischgrund

von Christoph Pinzl

Westlich von Nürnberg weiter auf der A73, die dann zur Pseudoautobahn B8 wird, bei Langenzenn raus und schon ist man da. Weiter bis Neustadt, dann rechts über Uehlfeld und Lonnerstadt nach Höchstadt. Nichts deutet mehr darauf hin, dass hier vor gut 100 Jahren eines der wichtigsten Hopfenanbaugebiete von ganz Deutschland zu finden war. Aischgrund. Ein passender Name, jedenfalls für die idyllische, flache Landschaft entlang des Flüsschens Aisch.

Für das Hopfengebiet nicht mehr ganz so einleuchtend. Denn als man Ende der 1920er Jahre die Grenzen des Aischgründer Hopfenbaus festlegte, wollte man große Stücke der Flussregion im Nordosten und vor allem im Süden und Westen nicht dabeihaben. Andererseits reichte der Aischgrund nun plötzlich im Norden bis weit ins ehemalige Fürstbistum Bamberg und schloss im Süden Orte wie Markt Erlbach oder Langenzenn mit ein, die geographisch mit der Aisch eigentlich gar nichts zu tun hatten.

Wie überall in Bayern erfolgte diese Festlegung 1928 im Rahmen des „Hopfenherkunftsgesetzes“. Erst ab diesem Zeitpunkt war gesetzlich geregelt, ob und unter welchem regionalen Siegel ein Hopfenbauer seine Ware zu vermarkten hatte: Hallertauer Hopfen, Spalter Hopfen, Aischgründer Hopfen. Pure staatlich gelenkte Markenpolitik. Wer Hopfen anbauen wollte, aber außerhalb der Grenzen eines Anbaugebietes wohnte, konnte höchstens noch versuchen, eine lokale Kleinbrauerei direkt zu beliefern. Mit dem großen, internationalen Geschäft war Schluss. Klar, dass deshalb im Vorfeld der Gesetzesformulierung alle möglichen Orte versuchten, mit dazuzugehören. Egal, ob man geographisch eigentlich gar nicht dazu passte wie im Fall von Langenzenn oder ob man politisch aus einer ganz anderen Vergangenheit stammte wie das würzburgische Schlüsselfeld.

Hopfenanbaugebiet Aischgrund, 1930

Wie überall in Deutschland gab es auch im Aischgrund seit dem Mittelalter Hopfen. Wer  Bier brauen wollte, brauchte Hopfen und den holte man nur ungern von weit her. Von Anbaugebieten ließ sich damals noch nirgends sprechen.

Nach dem 30-jährigen Krieg versuchten dann die jeweiligen Landesfürsten ihren Untertanen den Anbau von Hopfen schmackhaft zu machen. Im Aischgrund waren das einerseits die Fürstbischöfe von Bamberg, andererseits die Markgrafen von Bayreuth bzw. Ansbach. Wer sich für den Hopfen entschied, bekam niedrigere Steuern, günstige Hopfenstangen, eine Urkunde oder sogar Geldpreise.

Mehr noch als solche hochherrschaftlichen Gunstbeweise war es dann auch im Aischgrund die zunehmende Industrialisierung und vor allem der Bierboom des 19. Jahrhunderts, der den Hopfenbau wirklich in Schwung brachte. Um 1830 baute man rund um Neustadt, Höchstadt und Langenzenn mehr Hopfen an als zur gleichen Zeit in der Hallertau, die ja auch gerade erst am Wachsen und Werden war. Als man 1858 beschloss, das Schwefelverbot für Hopfen zuerst in Mittelfranken und erst vier Jahre später in ganz Bayern aufzuheben, geriet die ganze Region endgültig in den Sog des Hopfen-Goldrausches. Damit waren die letzten Schranken für den internationalen Hopfenhandel gefallen. Wenn man sich allerdings auf der Landkarte anschaut, wo überall damals Hopfen angebaut wurde, konnte man schon fast vom einem Anbaugebiet Mittelfranken reden, das mehr oder minder übergangslos in die altbayerische Hallertau mündete. Von Dachau bis Bamberg, von Ansbach bis Amberg wuchs der Hopfen. Die Zentren hießen Spalt, Hersbruck, Hallertau und – Aischgrund. Noch 1905, als der Boom längst schon wieder passé war, rangierte Neustadt an der Aisch mit sagenhaften 380 ha Hopfen auf Platz 1 aller Hopfenbaugemeinden, weit vor Spalt mit 270 und Wolnzach mit 262 Hektar. Wenn man so will, lag hier der Nabel des deutschen Hopfenbaus.

Zwangsläufig entwickelte sich eine eigene Anbaukultur. Es gab eine eigene Aischgründer Hopfensorte, den Aischgründer Späthopfen. Ein findiger Konstrukteur namens Johann Gebhard aus Neustadt entwickelte ein spezielles Aischgründer Hopfengerüst, das sich überall verbreitete. Die Dächer der Aischgründer Wohnhäuser und Scheunen erhielten „Hopfengauben“, eine Art Lüftungsdachluken, damit sich der viele Hopfen besser trocknen ließ.

Modell einer Aischgründer Gerüstanlage, um 1930

Vielleicht der wichtigste Joker beim Kampf um Marktanteile lag in der engen Verbindung der Region mit dem Hopfenhandel. Außerhalb fränkischer Städte wie Nürnberg, Würzburg oder auch Neustadt, aus denen sie im Spätmittelalter vertrieben worden waren, hatten sich in den Landgemeinden des Aischgrundes viele jüdische Familien niedergelassen, geduldet von jeweiligen Landesfürsten, für deren Gunst sie natürlich einen gehörigen Obulus zu zahlen hatten. Als gegen Ende des 18. Jahrhunderts der Hopfenbau in Schwung kam, nutzten viele jüdische Gewerbetreibende die Gunst der Stunde. Anfangs noch zu Fuß unterwegs mit der Krackse auf dem Rücken, bald jedoch schon als etablierte Handelsunternehmen, kauften sie den Aischgründer Hopfen, den sie ja aus nächster Nähe kannten, von den Bauern auf und lieferten ihn zu den Brauern in ganz Deutschland, später in die ganze Welt. Als ab Mitte des 19. Jahrhunderts immer mehr jüdische Familien in die nahegelegenen Städte umsiedelten, entwickelten sich Bamberg und vor allem Nürnberg zu den wichtigsten Handelszentren für Hopfenbau auf der ganzen Welt. Genau dazwischen lag der Aischgrund. Viele der ehemaligen Kleinhändler wandelten sich dort zu global playern des internationalen Hopfenhandels.

Beispiele gibt es zuhauf. Ein Mann wie Gustav Buxbaum, 1839 in Vestenbergsgreuth geboren, baute in Bamberg nicht nur ein großes Hopfenhandelshaus auf. Als Mitbegründer von Epple & Buxbaum schuf er später eines der wichtigsten Landmaschinenunternehmen im ganzen deutschen Reich. Joseph Kohn, Sohn des Hopfenhändlers Mayer Kohn aus Markt Erlbach, war der erste jüdische Bürger, der sich 1850 wieder in Nürnberg niederlassen durfte. Das Bankhaus Kohn entwickelte sich später zum größten privaten Bankhaus Bayerns. Marx Tuchmann, Hopfenhändler aus Uehlfeld, leitete seinen deutschen Namen aus seinem Nebenberuf im Hopfentuchhandel ab. Sein Sohn Philipp betrieb  später ein florierendes Hopfenhandelsgeschäft in Nürnberg, später dann sogar in Dessau. Manche wie die Händlerfamilien Uhlfelder oder Erlbacher verewigten ihre Herkunft gleich im Nachnamen. Die Reihe ließe sich beliebig fortsetzen.

Die Familie Tuchmann war einst von Uehlfeld nach Nürnberg gezogen.

Der Erfolg scheint den Aischgründern letzten Endes aber auch zum Verhängnis geworden zu sein. 1889 produzierte man in Deutschland so viel Hopfen wie erst 100 Jahre später wieder. Zwangsläufig brachen die Hopfenpreise massiv ein. Als Weg aus der Krise riefen die staatlichen Stellen den Qualitäts-Hopfenbau aus. Moderne Anbautechnik, einheitliche Sorten, Pflanzenschutz, saubere Herkunftsbezeichnung, all das stand jetzt hoch im Kurs. Die Aischgründer suchten unter anderem ihr Heil darin, sich beim mittlerweile erfolgreicheren Konkurrenten in der Hallertau die Dinge ein wenig abzuschauen. Aufbereitungsanstalten nach Hallertauer Vorbild, Gerüstanlagen aus der Hallertau und vor allem – der Hallertauer Hopfen selbst. Ende der 1920er bestand der Aischgründer Hopfen zu 5/6 aus der Sorte Hallertauer Mittelfrüh, die man sich dort besorgt hatte.

Doch das Ende ließ sich auch so nicht aufhalten. Nach dem Zusammenbruch im 1. Weltkrieg kam der Anbau im Aischgrund nicht mehr richtig auf die Füße. Für eine konsequente Modernisierung fehlten den Bauern die Betriebsgrößen und das nötige Kapital. Der Einfluss der Bamberger und Nürnberger Händler war massiv zurückgegangen. Aischgründer Hopfen geriet immer mehr in Verruf. Anbauflächen und Erträge sackten zusammen.

Der Beginn der nationalsozialistischen Herrschaft läutete dann endgültig den Niedergang ein. Im zackig-militaristischen Ton der neuen Machthaber führte nun das Aischgründer Hopfenanbaugebiet „einen harten und schweren Kampf um seine Lebensberechtigung“ und der Aischgrund wurde zum „kranken Mann (…) des gesamten deutschen Hopfenbaus“ stilisiert. Als dann 1942 die Kriegswirtschaft auf Hochtouren lief, entzog man dem Aischgrund schlichtweg die Erlaubnis zum Hopfenbau. Nach dem Krieg kehrten zwar ein paar Bauern noch einmal zum Hopfen zurück, aber mehr als einen Anbau für lokale Brauereien schaffte der Aischgrund nicht mehr. Irgendwann hörte auch der letzte Kleinbauer sang- und klanglos auf.

Neustadt an der Aisch, um 1865 (Foto: Dr. Wolfgang Mück, Neustadt a.d. Aisch)

Trotzdem erstaunt es, wie radikal der Hopfen inzwischen aus der Landschaft verschwunden ist. Hin und wieder stößt man an Bachläufen oder Waldrändern auf ausgewilderte Hopfenreben. Wer mit wachen Augen über die Dörfer fährt, entdeckt noch an dem einen oder anderen  Bauernhaus eine Hopfengaube. Aber viel mehr findet sich nicht mehr. Nur ein Heimatmuseum (in Langenzenn) hat sich der Thematik angenommen, mit einer kleinen Sammlung alter Geräte, in den lokalen Archiven lagern höchstens ein paar alte Fotos, in den lokalen Heimatchroniken findet sich hier und da der Holzstich einer Ortsansicht, auf dem auch ein paar Hopfenstangen abgebildet sind. Das einzige Hopfengebäude im ganzen Gäu, das man unter Denkmalschutz gestellt hat, führt ein trauriges Dasein als zugemülltes, fensterloses Gerippe, dem man an jeder Ecke ansieht, dass sein neuer Besitzer kaum erwarten kann, wann es endlich in sich zusammenfällt.

Fast vollständig verschwunden sind die Spuren der jüdischen Hopfenhändler. Seit einigen Jahren haben sich engagierte Heimatforscher der Geschichte der jüdischen Gemeinden im Aischgrund angenommen, der Hopfen spielt dabei aber zwangsläufig nur eine kleine Nebenrolle. Auf den verbliebenen jüdischen Friedhöfen steht noch der ein oder andere Grabstein, dessen eingravierter Nachname sich mit einer Hopfenhändlerfamilie in Verbindung bringen lässt.

Vom einstigen Glanz des Aischgründer Hopfens zeugt noch manch prächtiges altes Haus, vor allem natürlich in Neustadt an der Aisch. Ohne den einstigen Erfolg des Hopfens wäre es wohl nie erbaut worden. Im Lauf der Zeit wird aber auch das Wissen darüber verblasst sein.

Titelbild: Alte Hopfenscheune mit Gauben in Gutenstetten