Das Pflanzerverzeichnis von 1952

Eine besondere Quelle zur Hof- und Hopfengeschichte

Freitag 19.12.2025

Das Pflanzerverzeichnis von 1952

Eine besondere Quelle zur Hof- und Hopfengeschichte

Von Christoph Pinzl

Kaum einen Monat waren die Nationalsozialisten an der Macht als sie im Februar 1933 schon eine spezielle „Verordnung zur Regelung der Anbaufläche“ erließen. Wesentliche Bestimmungen waren zum einen, dass ab sofort jedes Jahr bestimmt werden sollte, „welche Fläche im nachfolgenden Anbaujahr mit Hopfen höchstens bebaut werden darf.“ Und zum anderen, dass alle Hopfenpflanzer verpflichtet waren, genaueste Auskünfte darüber zu erteilen, wie viel Hopfen sie anbauten. In der Praxis sah das so aus, dass auf jedem Hopfenhof staatliche Beauftragte auftauchten, jeden Hopfengarten exakt ins Visier nahmen, jeden einzelnen Hopfenstock zählten und im Zweifelsfall auch Einsicht in die Geschäftsbücher des Hopfenbauern verlangten. Das Ergebnis dieser Zählung erschien dann mit Namen und Wohnort des Hopfenpflanzers in der Ortsliste der jeweiligen Gemeinde. Öffentlich und für jeden einsehbar im Rathaus aufliegend. Als Tüpfelchen auf´s i nagelte man an jeden Hopfengarten ein Blechschild, auf dem der Name des Hopfenbauern und die genehmigte Anzahl der Hopfenstöcke weithin sichtbar abzulesen waren. Wer mehr anbaute, als auf dem Schild stand, dem schnitten die Kontrolleure ohne langes Fackeln die Reben ab. Dahingestellt sei jetzt einmal, inwieweit die richtigen Kontakte in die Parteizentrale oder ähnliches ein bisserl mitbestimmten, was wirklich in den Hopfengärten geschah.

Schild zur Flächenkontingentierung, ca. 1940. Alois Eibel aus Gosseltshausen (Hallertau) durfte max. 400 Hopfenstöcke auf 0,08 Hektar Fläche bewirtschaften. Das Schild hing am Anfang des Hopfengartens.

Schild zur Flächenkontingentierung, ca. 1940. Alois Eibel aus Gosseltshausen (Hallertau) durfte max. 400 Hopfenstöcke auf 0,08 Hektar Fläche bewirtschaften. Das Schild hing am Anfang des Hopfengartens.

Auf alle Fälle das Gegenteil von freier Marktwirtschaft. Über lange Zeit hatte die den Hopfenbau in ganz Deutschland maßgeblich geprägt. Manchmal segensreich (wenn der Markt gut stand und die Preise stiegen), nicht selten aber auch mit katastrophalen Folgen: wenn das Hopfenangebot die Nachfrage weit überstieg, die Preise zusammenbrachen und viele Hopfenpflanzer aufgeben mussten. Letzteres nach dem Ende des 1. Weltkrieges 1918 eher der Regelfall. In der Nazi-Ideologie stand hinter diesem unkontrollierten Auf und Ab des Hopfenmarktes jedoch keine volkswirtschaftliche Regel, sondern der angebliche Einfluss hinterhältiger Hopfenhändler und das hieß für die rechten Ideologen natürlich jüdischer Händler. Für das antisemitische Weltbild der neuen Machthaber bedeutete die neue Regelung des Hopfenmarktes somit weniger eine Hilfestellung für Hopfenpflanzer als vielmehr den Beginn einer systematischen Verdrängung jüdischer Hopfenhändler vom Markt. Ganz egal, ob es den Hopfenbauern passte oder nicht. Öffentlich einsehbare Informationen zu den eigenen Anbauflächen – so etwas war für jeden Hopfenpflanzer ein Graus, ganz egal, ob er mit der Regelung einverstanden war oder nicht. Datenschutz war damals halt noch ein Fremdwort.

Interessanterweise blieb diese Regelung der Anbauflächen auch nach dem Ende des Nazi-Regimes 1945 bestehen – und zwar bis 1958! Dem Pflanzerverband kam nämlich die Flächenregelung auch nach Kriegsende nicht ungelegen. Schließlich wollte man das einstige wilde Auf und Ab der Hopfenpreise, das berühmte „Hopfen-Roulette“, mit allen Mitteln verhindern. Und sei es, indem man die Vorgaben des einstigen Regimes übernahm.

Ein interessantes Nebenprodukt dieser Verhältnisse war das Hopfenpflanzerverzeichnis von 1952. „Auf allgemeinen Wunsch aus verschiedenen Kreisen, vor allem auch aus Hopfenhandelskreisen“ entschloss sich der Hopfenpflanzerverband zur Herausgabe dieses Registers.  Sämtliche Hopfenbetriebe in Deutschland aufgeteilt nach Anbaugebieten und hier wiederum nach Ortschaften waren dort aufgeführt. Jeder Betrieb mit Namen, Hausnummer und der bewirtschafteten Hopfenfläche. Wie gesagt, Datenschutz war damals ein unbekannter Begriff. Das Verzeichnis wurde schließlich auf zwei Bände angelegt: Band 1 enthielt ausschließlich die Hopfenpflanzer der Hallertau, Band 2 alle anderen damals aktiven Gebiete: Spalt, Hersbruck, Jura, Tettnang, Rottenburg-Herrenberg-Weilderstadt, Baden und Rheinpfalz.

Antisemitische Anzeige aus einer Tageszeitung, um 1935.

Antisemitische Anzeige aus einer Tageszeitung, um 1935.

Ob die Tatsache, seine betrieblichen Verhältnisse so offen und für jedermann sichtbar ausgebreitet zu sehen, wirklich dem „allgemeinen Wunsch“ jedes Hopfenbauern entsprochen hat, darf bezweifelt werden. Die spezielle Handhabung der Verkaufspreise für die Bücher tat dann das übrige, damit die Hopfenpflanzer nicht unbedingt über das Werk zu jubeln begannen. Satte 45 DM kostete das Verzeichnis bei Erscheinen zu Jahresanfang 1952 – pro Band wohlgemerkt. Zu der Zeit der halbe Monatslohn einer Münchner Sekretärin. Scheinbar kam diese Preispolitik auch nicht wirklich gut an. Jedenfalls wurden schon im Mai 39 DM daraus und Anfang Oktober 1952 dann 32 DM, trotz allem immer noch eine stolze Summe. Wie gut oder weniger gut sich das Verzeichnis wirklich verkaufte, ist nicht überliefert, obwohl die Hopfen-Rundschau behauptete, es sei „überall begeistert aufgenommen“ worden. Jedenfalls prangten die Werbeanzeigen für die Bücher ganze drei Jahre lang Monat für Monat bis Ende 1954 in der Verbandszeitschrift. Schon im September 1953 war der Preis mittlerweile auf gerade mal 15 DM gefallen.

Wer auch immer damals wirklich „begeistert“ gewesen ist: jede/r, der/die sich heute für Hopfengeschichte interessiert, wird es sein. Auch jede/r Heimatkundler/in, Familienforscher/in, Hofgeschichtsschreiber/in. Für viele Hopfenpflanzer ist es heute die einzige Möglichkeit, sich relativ unkompliziert über die einstige Betriebsgröße und die damit verbundene Infrastruktur auf dem elterlichen oder großelterlichen Betrieb einen Eindruck zu verschaffen.

Richtig spannend wird es, wenn man anfängt, die Daten in größeren Einheiten zu analysieren. Auch wenn ja erst einmal gar nicht so viel mehr drin steht in den Büchern als Namen, Orte und Flächenangaben. Wir haben das gesamte Pflanzerverzeichnis digitalisiert und mit der entsprechenden Software ein paar Dinge genauer herausgepickt.

1952 gab es demnach in ganz Deutschland noch 14.082 Betriebe, also Hopfenbauern, Familien, die vom oder wenigstens mit dem Hopfenbau lebten. Davon ganze 7.297 Einträge für die Hallertau in 887 verschiedenen Ortschaften, gefolgt vom Spalter Land mit 1907 Pflanzern in 135 Orten und dem Hersbrucker Gebirge mit 1851 Betrieben in 227 Orten. Allein in Wolnzach waren noch 201 Hopfenbauern aktiv. Damit war die Hallertauer Hopfenmetropole allerdings noch nicht einmal deutscher Spitzenreiter: in der Stadt Spalt gab es zu der Zeit sogar noch 250 Betriebe. Dahinter folgte dann Au i.d. Hallertau mit 161 und als nächstes – Überraschung – Hambrücken (Landkreis Karlsruhe) im damaligen Anbaugebiet Baden (149 Pflanzer), einst sogar Standort der (angeblich…) größten Hopfendarre in Deutschland. Neben erwartbaren Hopfenzentren wie Mainburg oder Siegenburg (beide Hallertau) oder Großweingarten (Spalt) mit jeweils mehreren Dutzend Pflanzern fanden sich auch Ortsnamen wie Unterjettingen im württembergischen Kreis Böblingen (96 Pflanzer), Tailfingen auf der Schwäbischen Alb (80) oder Kapellen-Drusweiler an der Südlichen Weinstraße im neuen Bundesland Rheinland-Pfalz (72) weit oben in der Liste.

Das Hopfenpflanzerverzeichnis von 1952, Band 1: Hallertau.

Das Hopfenpflanzerverzeichnis von 1952, Band 1: Hallertau.

Flächenmäßig lag dann allerdings Wolnzach wieder vorne mit 182 Hektar Hopfen vor Spalt mit 140 Hektar und Au i.d. Hallertau mit 123 Hektar. Was uns nebenbei eine häufig beschriebene Erkenntnis vor Augen führt: dass nämlich Spalter Betriebe tendenziell kleiner waren bzw. weniger Hopfen bewirtschafteten als die Hallertauer Konkurrenz. Das war schon im 19. Jahrhundert so und gilt für Wirtschaftshistoriker als einer der wesentlichen Gründe dafür, warum sich auf Dauer die Hallertau besser als das Spalter Gebiet am Hopfenmarkt durchsetzen konnte. 1905 waren es in Spalt übrigens noch 270 und in Wolnzach 262 Hektar gewesen.

Der damals größte deutsche Hopfenpflanzer hieß Otto Höfter, wohnhaft in Neuhausen in der Hallertau, mit 15,60 Hektar Hopfen, gefolgt von Paul Münsterer in Mainburg, dem Hopfengut Barthhof bei Wolnzach und der Familie Wittmann in Siegenburg. Dann erst kam mit dem Hofgut Steiner in Siggenweiler bei Tettnang ein Betrieb außerhalb der Hallertau. Mit ein paar wenigen Ausnahmen aus Tettnang, Spalt und Hersbruck lebten die 200 größten deutschen Hopfenbauern alle in der Hallertau, wobei „groß“ damals zwischen 2 ½ und 7 Hektar bedeutete. Fast 4.000 Höfe in Deutschland, also knapp 30%, bewirtschafteten gerade einmal 0,2 Hektar Hopfen oder weniger. Nach dem damals aktuellen Lehrbuch des Hopfenbaus also um die 800-900 Hopfenstöcke, wobei einige Hopfenpflanzer im Hersbrucker Gebirge und in Baden sogar nur knapp 100 Pflanzen ihr eigen nannten. Was wiederum klar macht, dass schon damals viele Hopfenpflanzer in Deutschland nicht mehr vom Grünen Gold allein leben konnten.

Das Hopfenpflanzerverzeichnis von 1952, Band 2: Spalt, Hersbrucker Gebirge, Jura, Tettnang, Rottenburg-Herrenberg-Weilderstadt, Baden, Rheinpfalz.

Das Hopfenpflanzerverzeichnis von 1952, Band 2: Spalt, Hersbrucker Gebirge, Jura, Tettnang, Rottenburg-Herrenberg-Weilderstadt, Baden, Rheinpfalz.

Hofbesitzer-Innen kamen übrigens auch nicht selten vor. Allerdings häufig nicht mit ihrem tatsächlichen Namen, sondern als „Anton Graf Witwe“ oder „Schlotterbeck Adolf Wwe.“ aufgeführt. Auch dies ein Widerhall der Zeiten, Zeiten, in denen Frauen ihren Ehegatten noch komplett rechtlich unterstellt waren. Und zudem ein trauriger Hinweis darauf, dass der 2. Weltkrieg gerade einmal sieben Jahre vorbei war und viele Hofbesitzer nicht nach Hause zurückgekehrt waren.

So ließen sich bei Bedarf noch viele Erkenntnisse aus den Daten des Pflanzerverzeichnisses herausfiltern. Zum Beispiel auch die interessante Tatsache, dass Josef der beliebteste Vorname unter den deutschen Hopfenbauern war, dicht gefolgt von Johann und mit leichtem Abstand Georg. Allerdings nicht in Spalt, da lag Johann weit vorne, anders als in Baden mit Wilhelm oder in der Rheinpfalz mit Karl. Auch so klangvolle Namen wie Arsatius, Agathon oder Agapitus kann man finden. Was auch immer mehr oder weniger Sinnvolles man hieraus folgern mag.

Heute sind in der Hallertau gerade einmal noch ein Zehntel der einstigen Menge an Pflanzern übriggeblieben. In den einstigen Hopfenmetropolen Wolnzach und Spalt halten noch 2 bzw. 3 Pflanzer das Fähnlein hoch. In Baden, der Rheinpfalz und rund um Rottenburg am Neckar wird schon lange kein Hopfen mehr gepflanzt. Der Jura und das Hersbrucker Gebirge gehören mittlerweile offiziell zur Hallertau. Im gesamten Spalter Gebiet bauen momentan noch 43 Pflanzer den Hopfen an.

Auszug aus Band 1. Allein die Einträge zu Wolnzach füllten mehrere Seiten.

Auszug aus Band 1. Allein die Einträge zu Wolnzach füllten mehrere Seiten.

Wer einen ersten Einblick in die Angaben des Pflanzerverzeichnisses werfen möchte, kann dies übrigens direkt in der Dauerausstellung unseres Museums tun. In unserer „Interaktiven Karte“ kann man über die einzelnen Ortschaften die Daten von 1952 abrufen, vom eigenen Hof oder dem des Nachbarn oder von ganz woanders her, ganz nach Belieben.

(verfasst unter Zuhilfenahme von NI*)

 

*Natürliche Intelligenz

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