Titelblatt der
Bitterstoff, Blog | Dienstag 29.10.2024

150 Jahre Hopfenpflanzerverband – wenn man so will

Die Wurzeln der heutigen Interessenvertretung

Von Christoph Pinzl

Am 21. Februar 1874 war es soweit. In Nürnberg traf sich ein illustre Herrenrunde und gründete den „Deutschen Hopfenbau-Verein“. Der Gründungsort ließ sich noch rechtfertigen. In Nürnberg wuchs zwar kein Hopfen. Aber in der Umgebung. Dreiviertel von Mittelfranken war zu dieser Zeit mit Hopfen bepflanzt. Um Spalt, Hersbruck und Neustadt a.d. Aisch lagen die wichtigsten deutschen Hopfenregionen. Spätestens beim Blick auf die Mitgliederliste durfte allerdings bezweifelt werden, dass es hier wirklich um eine Interessenvertretung aller deutscher Hopfenbauern ging. Großgrundbesitzer, Verwaltungsbeamte, Landwirtschaftslehrer, Zeitungsverleger, Hopfenhändler, die ließen sich zahlreich dort finden, aber normale Landwirte? Aus der Hallertau so gut wie niemand. Woran lag das?

Satzungen des Deutschen Hopfenbau-Vereins, 1874

Seit Mitte des 19. Jahrhunderts hatte der Hopfenbau in Deutschland eine steile Karriere hingelegt. Die Produktion hatte sich vervielfacht. In manchen Gegenden wuchs Hopfen soweit das Auge reichte. Es gab Orte, in denen jeder, wirklich jeder Einwohner Hopfen anbaute. Überall hatten sich auch bereits lokale Hopfenbauvereine gebildet. Aber eine überregionale Interessenvertretung fehlte. Die Landwirte, die Malzhersteller, die Brauer, die Brauereibelegschaft, alle hatten so etwas bereits. Aber nicht die Hopfenwelt. Und nicht ganz zufällig. Denn Zweifler gab es zuhauf. Für sie war so ein Hopfenverein nämlich nichts anderes als eine Art trojanisches Pferd der mächtigen Hopfenhändlerschaft – und der Regierung. Eine der wichtigsten Aufgaben der Hopfenvereine sollte es nämlich sein, den Markt mit Informationen zu versorgen, statistischen Informationen. Wo wuchs wie viel, wie viel wurde geerntet, wie viele Pflanzer waren aktiv, solche Dinge. Im Hopfengeschäft, wo das freie Spiel der Kräfte alles war, sich alles nur nach Angebot und Nachfrage richtete, ganz entscheidende Hebel, um beim Hopfen-Roulette zur richtigen Zeit das richtige unternehmen zu können. Genau darauf hatten viele Pflanzer aber keine Lust. Sie ließen sich ungern in die Karten schauen. Ganz ungern.

Deshalb interessierte es sie auch wenig, was dort in der Frankenmetropole ein paar wichtige Herren beschlossen und gegründet hatten. Mit den dortigen Herren Direktoren, Amtmännern und Sekretären in der Vereinsleitung hatte die Hopfenpraktiker nichts am Hut. Und Zahlen melden wollte man denen schon gleich gar nicht. Eine Folge dieses angeborenen Mißtrauens war, dass sich bis mindestens Ende des 19. Jahrhunderts nicht genau sagen ließ, wie viel Hopfen in der Hallertau tatsächlich angebaut wurde. Die verschiedenen Statistiken widersprechen sich zum Teil erheblich – und das lag nicht an der Schlampigkeit der Zahlensammler.

Mitgliedsausweis für den Deutschen Hopfenbau-Verein, 1882. Sechs Mark betrug der normale Beitrag im Verein pro Jahr, für Produzenten drei Mark (aus: Peter Heidtmann, Grünes Gold, 1994)

Das änderte sich auch in den Folgejahren wenig. So beschränkte sich der neue Hopfenbauverein gezwungenermaßen auf die Organisation von Versammlungen und Ausstellungen und versuchte Anbau und Wachstum der Hopfenpflanze wissenschaftlich genauer unter die Lupe zu nehmen.

Als 1889 die goldenen Jahre des Hopfenbooms vorbei waren, flog den Nürnberger Vereinsfunktionären immer lautere Kritik um die Ohren. Sie seien nicht mehr als Handlanger der Hopfenhändler und nicht zufällig in Nürnberg, im Weltzentrum des Hopfenhandels, beheimatet. Musste man sich anhören. 1892 kam es folgerichtig zur Neuaufstellung, Neuwahl, Neuausrichtung. Vom Elsaß bis nach Posen – damals alles noch Deutsches Reich – bildeten sich Zweigvereine, die, nun viel näher am jeweiligen Ort des Hopfengeschehens angesiedelt, sich bemühten, mehr als bisher die verschiedenen Lokalinteressen unter einem Meinungsdach unterzubringen. Mehr als bisher sollte es nun auch um Fragen der Anbautechnik gehen und nicht mehr so viel um die Vermarktung des Hopfens.

Trotz aller Umstrukturierungen engagierten sich im Verein weiterhin vor allem die Großkopferten unter den Hopfenpflanzern. Die es gewohnt waren, anzuschaffen und die Dinge nach dem eigenen Gusto zu lenken. Der kleine Pflanzer hatte nichts zu melden. Als 1912 die Hallertau erstmals größtes deutsches Hopfengebiet wurde, zählte auch die Meinung der weit entfernten Funktionäre aus Nürnberg immer weniger. Und so war nach dem 1. Weltkrieg vom Deutschen Hopfenbau-Verein nicht viel mehr übrig als ein Haufen Schulden und eine überalterte Vorstandschaft.

So kam es 1923 erneut zur Reorganisation. Mittelfranken war endgültig raus aus dem Vereinsgeschäft, die Zentrale wurde nach München verlegt. Gesamtdeutsch ging es auch nur mehr dem Namen nach zu. Der Präsident hatte satzungsgemäß aus Bayern zu stammen, sein Stellvertreter aus Württemberg, wo in Tettnang und Rottenburg noch wichtige Hopfenzentren lagen. Alle anderen deutschen Gebiete hatten mittlerweile nicht mehr viel zu melden im deutschen Hopfenbau. Die Geschäftsführung übernahm die Bayerische Landesbauernkammer. Auch inhaltlich ging es nun ganz anders zur Sache. Der Hopfenbau-Verein entwickelte sich zum Kampfbund. Zuerst einmal versuchte man mehr oder minder massiv auf alle Hopfenbauern einzuwirken, damit sie sich zur Mitgliedschaft entschlossen. Egal ob Brauer, Hopfenhändler oder Landwirtschaftsministerium, überall erkannte man Gegner, die den Hopfenbauern den ihnen zustehenden Erfolg im Hopfengeschäft streitig machen wollten. Selbst mit der 1926 neugegründeten Hopfenforschung in Hüll bei Wolnzach legte man sich an – was sich schließlich zum Rücktritt des Vereins-Präsidiums führte. Und zur erneuten Umstrukturierung. Ab 1928 hieß der Verein nun „Deutscher Hopfenbau-Verband“ und sollte nur mehr als Dachorganisation der diversen lokalen Vereine dienen. Einzelne Hopfenbauern konnten folglich nur mehr in den 28 Zweigvereinen und 380 Ortsgruppen Mitglied werden. Allerdings ab sofort zwangweise. So konnte der Deutsche Hopfenbau-Verband im Jahr 1929 sage und schreibe 14.800 Mitglieder verzeichnen. Jeder Pflanzer, der vor Ort Hopfen zur Abwaage brachte, bezahlte mit seiner Waaggebühr automatisch auch den Mitgliedsbeitrag für den jeweiligen Ortsverein. Kein Widerspruch möglich.

Festpostkarte zur Tagung des Reichsverbandes Deutscher Hopfenpflanzer in Saaz vom 13. bis 15. August 1939

Vielleicht ein ein erster Vorgeschmack auf das, was in den nächsten Jahren folgen sollte. Mit Beginn der nationalsozialistischen Regentschaft ab 1933 endetet nämlich erst einmal die Geschichte des unabhängigen Deutschen Hopfenbau-Vereins/Verbandes. Er wurde zwangsweise dem staatlichen „Reichsnährstand“ angegliedert. Es gab zwar weiterhin sogenannte „Hopfenpflanzerfachschaften“, deren Bezeichnung man 1937 wieder in „Verbände“ umwandelte, seit 1938 z. B. den „Hopfenpflanzerverband Hallertau“. Alle regionalen Verbände zusammen schloss die nationalsozialistische Regierung 1938 zum „Reichsverband Deutscher Hopfenpflanzer“ zusammen. Mittlerweile gehörten hierzu auch die Hopfengebiete im österreichischen Mühlviertel, in Böhmen und im Verlauf des Krieges dann auch in den besetzten Gebieten im Elsass und in Slowenien.Verbandssitz war nun Berlin. Verbandsaufgabe war es, alle Maßnahmen, die von den staatlichen Stellen angeordnet wurden, in den Anbaugebieten umzusetzen. Darunter die exakte Regelung der Anbauflächen, die jedem Hopfenbauern exakt vorschrieb, wie viele Hopfenstöcke er anbauen durfte – per Blechschild für jedermann am Hopfengarten abzulesen. Wo man sich nicht daran hielt, wurde zwangsgerodet. Auch eine Aufgabe des Pflanzerverbandes. 1944 zog die Geschäftsstelle kriegsbedingt ins weniger bombenbedrohte Roth bei Nürnberg um.

Hopfen-Ausstellung des Reichsverbandes Deutscher Hopfenpflanzer, 1941

Nach dem Krieg übernahm zuerst der neue „Verband bayerischer Hopfenpflanzer“ die Geschäfte des alten Reichsverbandes. Nach einigen Jahren der Umstrukturierung konnte dann ab 1949 schließlich der neue Verband deutscher Hopfenpflanzer seine Arbeit aufnehmen, als Dachorganisation aller deutschen Hopfenpflanzer. Zwei Jahre zuvor war schon der „Hopfenpflanzerverband Hallertau“ ins Leben getreten. Und nun endlich wurde man von dort aus aktiv, wo der Hopfen tatsächlich herkam, vom größten Hopfengebiet Deutschlands, von Wolnzach aus.

Seither lassen die beiden Verbände von dort aus ihre segensreiche Tätigkeit auf die deutsche und die Hallertauer Hopfenwelt wirken. „Das Verbandsleben der deutschen und der Hallertauer Hopfenpflanzerorganisation verlief (…) seit der Neugründung (…) in ruhiger Kontinuität“, schrieb Verbandschronist Lorenz Kettner zum Jubiläum 1974. Nach so viel historischem Radau absolut verstehbar. Zum 100-jährigen ließ man es trotzdem ordentlicih krachen, mit 100-Seiten-Chronik, Festakt im Münchner Cuvillies-Theater und im Haus der Kunst (mit mehr als 100 Gästen), Bierkarte mit 100 verschiedenen Bieren (aus ganz Deutschland), Käfer´s Party-Sound (zum Tanz) und allem was sonst noch dazu gehörte. Vielleicht war man damals noch mehr in Feierlaune. Vielleicht musste man auch erst die genaueren Hintergründe der Verbandsgeschichte kennenlernen, die Kettner in seiner wissenschaftlich sauber recherchierten Chronik zusammenstellte.

Bierkarte beim Festabend zur 100-Jahr-Feier, 1974, mit 100 verschiedenen Bieren. Man beachte auch die Hopfensackoptik.

Besucherkarte zum Festakt zur 100-Jahr-Feier, 1974

Der 150. Geburtstag im Jahr 2024 ist jedenfalls völlig geräuschlos am Pflanzerverband und dem Rest der Hopfenfamilie vorübergegangen. Zu weit entfernt liegt das, was einst in Nürnberg begann, mittlerweile von der heutigen Organisation entfernt. In 25 Jahren kommt man dann allerdings nicht mehr so leicht davon, wenn wieder ein Hundertjähriger auf dem Programm steht. Dann aber wirklich. Mit mindestens 175 Bieren. Aus der ganzen Welt.

Das „Haus des Hopfens“ mit neuem Anbau, 2003