Drahtausziehmaschine
Bitterstoff, Blog | Dienstag 20.02.2024

Die Drahtausziehmaschine

Von Zufällen, Lockdowns und rätselhaften Apparaten

Von Christoph Pinzl

Bis zum Aufkommen der Pflückmaschine in den 1950ern zog man jeden Herbst nach der Ernte die Drähte aus der Hopfenrebe. Um sie nächstes Frühjahr wiederverwenden zu können. Mit der Hand. Mühsam, schmutzig, unbeliebt war das. Und schon einmal Thema eines Blog-Beitrages.

Nach dem Zweiten Weltkrieg dachten sich ein paar findige Konstrukteure eine Maschine aus, die einem diese mühsame Arbeit abnehmen sollte: die Drahtausziehmaschine. Jahrzehntelang schlummerte so ein Gerät bei uns im Depot. Quasi unentdeckt. Die Einzelteile lagen sichtbar vor uns, das schon. Aber wir wussten nicht, zu was sie gut waren.

Die Drahtausziehmaschine von Jakob Kutscher, Zieglberg, in der Ausführung mit Sachs-Motor. Aufnahme um 1958.

Bis uns der Zufall und die Pandemie auf die Spur brachten. Während Corona wütete, hatten wir endlich ein wenig Zeit übrig und fügten die Maschine wie ein Puzzle zusammen. Aus jeder Ecke unserer Depots holten wir nach und nach die Einzelteile hervor. Eigentlich hätten die, so wie sich das in einem Museum gehört, wenigstens durchnummeriert und fotografiert sein müssen, inventarisiert nennt man das. Nach mehreren Hau-Ruck-Umzügen unserer Museumsbestände über die Jahre war das aber leider auf der Strecke geblieben. Und so brauchte es erst genug Muse und detektivisches Kombinieren während eines Lockdowns, um die geheimnisvolle Maschine wieder zum Leben zu erwecken.

Und wo das auch noch nicht reichte, musste halt ein bisschen Glück und der Zufall auf die Sprünge helfen. Nach dem Zusammenbau verstanden wir nämlich immer noch nicht recht, zu was das rätselhafte, ellenlange Gerät gut sein sollte. Bis ein Vereinsmitglied am Dorfstammtisch davon erzählte. Und unglaublicherweise ein anwesendes Stammtischmitglied sich meldete: das sei doch seine Maschine, die wir da gefunden hätten. Eine Drahtausziehmaschine. Hat er dem Museum vor 35 Jahren überlassen. Sachen gibt´s.

Aus der Patentschrift von Jakob Kutscher, 1957.

Jedenfalls haben wir uns dann vom Vorbesitzer, dem Schmid Georg (der Grua´ von Oberlauterbach), genau beschreiben lassen, wie das Ding funktionierte. Warum es seine Familie damals angeschafft hat. Was es zu beachten galt. Wieso es nicht allzu lange in Betrieb war. Danach war klar, dass so ein Fund geradezu danach schrie, nachträglich filmisch dokumentiert zu werden. Was gar nicht so einfach war. Weil es ja keinen Hopfen mehr gibt, der an den alten, wiederverwendbaren Zinkdrähten nach oben wächst. Solche Drähte verschwanden mit der Einführung der Pflückmaschine.

Also mussten zuerst im Frühjahr ein paar Hopfenreben mit dem alten Draht aufgehängt werden. Praktischerweise gleich direkt vor unserem Museum im hauseigenen Hopfengarten. Im Herbst war es dann soweit. Um das Ganze ein wenig authentischer aussehen zu lassen, haben wir die Reben alle abgeschnitten und raus nach Niederlauterbach in einen leeren Hopfengarten gefahren. Dort fand dann der Filmtermin statt. Nicht hundert Prozent originalgetreu, denn dazu hätten wir zuvor noch alle Hopfendolden abernten müssen. Ja mei. Aber auf alle Fälle kann man nun noch einmal sehen, wie die alte Drahtausziehmaschine ihren Dienst verrichtet.

Unsere Maschine aus der Vogelperspektive, 2022.

Nicht ganz ungefährlich. Die Berufsgenossenschaft hätte heutzutage sicher erhebliche Bedenken wegen der Arbeitssicherheit anzumelden. So etwas hat aber in den 1950ern noch keinen interessiert. Georg Schmid, damals noch ein Bub, erzählte uns, wie bei ihm daheim zuerst die Drähte von Leiharbeitern gegen Entlohnung ausgezogen worden waren. Wie dann sein Vater diese Arbeit übernahm. Und als der dann krankheitsbedingt nicht mehr konnte, die Drahtausziehmaschine auf den Hof kam. So Mitte der 1950er muss das gewesen sein.

Ein Hersteller ließ sich nicht mehr genau herausfinden. Die Maschinenbaufirma Jakob Kutscher aus Zieglberg, nahe Moosburg, warb noch 1958 mit einem sehr ähnlich gebauten Apparat. Kutscher lieferte ihn in zwei Ausführungen: mit Zapfwellenantrieb (wie bei uns) und mit stationärem Sachs-Motor. In der Bauweise recht ähnlich wie unsere Maschine, aber doch ein bisserl anders. Vielleicht ein Nachfolger. Oder die Zieglberger ließen sich damals von unserem Vorgänger „inspirieren“. Wie auch immer. Ein Kaufpreis ist nicht mehr bekannt. Ganz billig dürfte das Gerät nicht gewesen sein. Kutscher meldete 1957 dafür auch Gebrauchsmusterschutz an.

In unserem neuen Schaudepot soll die Drahtausziehmaschine dauerhaft zu sehen sein. Begleitet von den Filmaufnahmen, die wir nachträglich erstellt haben.