Aufgeschnittene Hopfendolde
Bitterstoff, Blog | Donnerstag 30.11.2023

Weißer Tod und Grünes Gold

Hopfen und der Kampf gegen die Tuberkulose

Von Christoph Pinzl

Wie stark eine Gesellschaft eine Krankheit als Bedrohung empfindet, hängt nicht alleine von statistischen Daten ab. Dies ließ sich im Verlauf der Covid-19-Pandemie sehr gut beobachten. Die Krankheit, die wohl am stärksten auch als soziales Phänomen angesehen werden muss, war und ist die Tuberkulose.

Sie ist eine der tödlichsten Infektionskrankheiten aller Zeiten. Der Erreger kann grundsätzlich alle Organe befallen, die häufigste Form ist jedoch die Lungentuberkulose. Ein Krankheitsverlauf über Jahre ist keine Seltenheit. „Phtisis“, ein „Dahinsiechen“ nannten die alten Griechen das Leiden, ein Begriff, der sich lange in der medizinischen Literatur hielt. Die „Schwindsucht“, auch „Auszehrung“, ist vermutlich so alt wie die Menschheit selbst, jedenfalls lassen sich ihre Spuren sehr weit zurückverfolgen, wobei die recht allgemeinen Bezeichnungen schon darauf hinweisen, dass nicht immer klar hervorgeht, ob in den Quellen immer das gleiche gemeint war. Ebenso alt sind die Methoden zu ihrer Heilung, wenngleich die Ansätze hierzu selten allzu wissenschaftlich daherkamen. Besonders beliebt war beispielsweise die in England als „royal touch“ bekannte gewordene Methode des Handauflegens durch den jeweiligen König bzw. die Königin. Schließlich waren die Herrschaften ja von Gott gesalbt, das sollte dann auf alle Fälle helfen.

Etwas diesseitiger, wenn auch nicht unbedingt erfolgversprechender ging man ab dem 18. Jahrhundert zu Werke. In dieser Zeit wandelte sich der „Weiße Tod“ zu einem ästhetischem Leiden, zum „romantischen Fieber“. Der bleiche Ausdruck der oftmals jungen Opfer entwickelte sich zum Schönheitsideal. Blasse, ätherische Schönheiten mit abwesendem Blick standen Malern Modell, Verkörperungen einer aufs Jenseits gerichteten Moral von Unberührtheit und Zartheit. In den Alpen wandelten sich Bergdörfer wie Davos zu mondänen Luftkurorten, in deren Sanatorien, auch „Hustenburgen“ genannt, die kurzatmige Patientenschaft exklusive Langzeitaufenthalte buchte. In Thomas Manns berühmtem Roman „Der Zauberberg“ meisterhaft verewigt.

Allmählich entwickelte sich die Tuberkulose jedoch zu einem Problem ärmerer Schichten. Beengte Lebensverhältnisse im „gemeinen Volk“ führten dazu, dass um 1880 jeder zweite Tote zwischen 15 und 40 Jahren in Deutschland ein Tuberkulosepatient war. Spätestens jetzt fand die romantische Verklärung ein Ende. Der Kampf gegen die Schwindsucht wurde zu einer der dringlichsten Aufgaben der öffentlichen Wohlfahrt. Hopfenhändler Wilhelm Gerngros, als Nürnberger in einer der Hochburgen der Krankheit zuhause, war maßgeblich an der Errichtung der Lungenheilanstalt Engelthal südlich des damaligen Hopfenzentrums Hersbruck beteiligt und erhielt für seine Verdienste im Tuberkulosekampf 1913 sogar die Goldene Bürgermedaille. Dass sich in seinem Handelsgut, dem Hopfen, ein Schlüssel zur Lösung des Problems verbergen könnte, erschloss sich ihm allerdings nicht.  Auch wenn Max Hayduck am Berliner Institut für Gärungsgewerbe schon 1885 die antiseptische Wirkung von Hopfenbitterstoffen erstmals zweifelsfrei nachgewiesen hatte, schlug niemand eine Brücke ins Lager der Schwindsuchtbekämpfer.

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„Eine Kochsche Impfung in der Charité zu Berlin in Gegenwart von fremden Aerzten.“ Aus: Die Gartenlaube, 1891, H. 1. S. 14.

Auch nicht als Robert Koch 1882 ein Meilenstein gelang und er endlich den Auslöser der weißen Pest dingfest machen konnte: das Mycobacterium tuberkulosis. 1905 erhielt er dafür den Nobelpreis für Medizin. Weniger Lorbeeren heimste Koch mit dem von ihm zusammengemischten Heilmittel „Tuberkulin“ ein, das sich nach anfänglicher Begeisterung schließlich als völlig unwirksam, ja sogar gesundheitsschädlich herausstellte.

Angeblich soll Hopfen schon im Mittelalter als Heilmittel bei Tuberkuloseerkrankungen einsetzt worden sein. Belege gibt es dafür jedoch keine, jedenfalls keine stichhaltigen. Konkreter wurde die Sache erst nach dem 1. Weltkrieg. Die Geschichte begann mit einem Herrn namens Rudolf Lang, promovierter Jurist und in Thüringen beheimatet. Dieser litt bereits in den 1920er Jahren an einer Lungentuberkulose, galt als geheilt, erlitt aber 1937 einen Rückfall. Plötzlich „eines Tages waren alle Symptome der Erkrankung (…) völlig verschwunden; alles kehrte aber am nächsten Tage wenn auch in verminderter Stärke wieder (…) Eine Ueberprüfung der Speisen und Getränke (…) ergab nur ein Wasserglas warmes Bier als abnormal.“ Hellhörig geworden nahm er Kontakt mit einer nahegelegenen Lungenheilanstalt auf, die ihren Patienten daraufhin auch warmes Bier verordnete und ebenfalls ein allgemein verbessertes Befinden wahrnahm. Nachdem Lang dann auch noch den Fall des tschechischen Bauern Bruj analysierte, der bereits zwei Mal wegen der Schwindsucht Witwer geworden war, von der der Landwirt aber trotz sehr beengter Wohnverhältnisse immer auf wundersame Weise verschont geblieben war, lag der Fall auf der Hand: „Der Schleier des Geheimnisses fiel, als Bruj eines Tages erklärte, daß er früher bis zu 30 Seidel Bier getrunken habe“. Daraufhin braute Lang auf eigene Faust ein Elixier namens „Edwil“, dessen Ingredienzien er zwar geheim hielt, das aber wohl nicht allzu viele Unterschiede zu einem klassischen Vollbier mit knappen 12% Stammwürze aufwies. Edwil, wie es ein späterer Chronist vermerkte, „erzielte, vorsichtig ausgedrückt, überraschende Ergebnisse“ und konnte sich tatsächlich beim Einsatz gegen die Tuberkulose einen gewissen Ruf erarbeiten. Worin er den entscheidenden Wirkstoff vermutete, verriet Lang in einer Denkschrift mit dem bezeichnenden Titel, „Hefen : die Schöpfer bakterizider Wirkstoffe nach Penicillinart gegen verschiedene Krankheitserreger.“ Die Hefe sollte es also gewesen sein.

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Warmes Bier als probates Mittel gegen die Tuberkulose rückte nach dem 1. Weltkrieg ins Blickfeld. Quelle: Wikipedia, Urheber: 1971markus

Dieser Überzeugung folgte man allerdings nicht überall. Schon allein deshalb, weil Lang „unbelastet durch jegliche Sachkenntnis“ handelte, wie ein Forscher süffisant anmerkte. So erhielt 1951 ein Student der Medizin namens Hermann Schmid aus Grafing bei München von der deutschen Forschungsanstalt für Tuberkulose „die Aufgabe gestellt, an Hand von statistischem Material einen etwaigen Zusammenhang zwischen Biergenuss und Tuberkuloseanfälligkeit zu finden.“ Mittlerweile war man nämlich auch in der pharmazeutischen Wissenschaft auf die Bierinhaltsstoffe aufmerksam geworden. Allerdings weniger auf die Hefen als nun vielmehr auf den Hopfen.

Die entscheidenden Impulse kamen aus den USA. Angeregt durch die Hop Growers´ Association hatte das US-Landwirtschaftsministerium dem Western Research Laboratory im kalifornischen Albany den Auftrag erteilt, den Hopfen im Tuberkulose-Kontext genauer unter die Lupe zu nehmen. Erste Ergebnisse trafen 1949 ein. Ein Forscherteam deckte einen signifikanten Effekt von Hopfeninhaltsstoffen gegen Mycobacterium tuberkulosis auf und wurde in mehreren Folgestudien bestätigt. In den Experimenten verringerte sich die Bakterienzahl innerhalb kürzester Zeit bis auf ein Viertel der ursprünglichen Menge. Besonders die β-Säure Lupulon tat sich hervor, ihre Wirksamkeit lag um das 10-fache höher als die der α-Säure Humulon. Wobei „Wirksamkeit“ bedeutete, dass Lupulon das Wachstum der Bakterien hemmte, also bakteriostatisch wirkte und weniger antiseptisch, also direkt die Erreger abtötete. Im Zuge dieser Forschungen konnte auch aufgedeckt werden, dass zwischen sogenannten grampositiven Bakterien, zu denen auch Lactobacillus gehörte und gramnegativen Stämmen erhebliche Unterschiede bei der Wirksamkeit der Hopfeninhaltsstoffe bestanden.

Mit diesem Vorwissen nahm Schmid die Fährte auf. Bei seiner Suche konzentrierte er sich auf das Braugewerbe, „da die Personen dieses Standes die sicherste Gewähr für nicht nur regelmäßigen, sondern auch reichlichen Biergenuss boten“. Klang logisch. Konkret fanden die Erhebungen bei 1760 Personen aus mehreren Münchner Brauereien statt. Schmid ermittelte Zahlen von dort üblichen 4-5 Litern Bier pro Person pro Tag. Das löst auch noch Staunen aus, bewies aber, dass man sich im richtigen Forschungsfeld befand. Passend zum Umfang des Bierkonsums zeigten sich bevorzugt Herz-Kreislauferkrankungen unter den Brauereimitarbeitern. Tuberkulose dagegen tauchte nur selten auf, in welchem Stadium auch immer. Bemerkenswert vor allem deshalb, weil zum Vergleich Zahlen aus vielen anderen Gewerben herangezogen wurden – und dort lag durchgehend die TBC-Rate deutlich höher, teilweise um das Sechsfache als im Braugewerbe. Über die US-Forschungen hinausgehend vermutete Schmid nach ersten Experimenten nicht nur Lupulon als Hauptverantwortlichen, sondern auch das erst beim Würzekochen entstehende Isohumulon. Nachfolgende Arbeiten untermauerten Schmids These. Und so äußerte man sich verhalten optimistisch: „Obgleich Lupulon nach dem derzeitigen Stand der Untersuchungen (noch) nicht als Tuberkuloseheilmittel Anwendung finden kann (…) bestehen doch Hoffnungen für eine eventuelle derartige Verwendung.“

Und dann – passierte nichts mehr. Vielleicht beanspruchte nach dem Krieg nun wieder der Braumarkt alle Hopfenkapazitäten, das Wirtschaftswunder machte schließlich Durst. Der wesentlich wahrscheinlichere Grund dürfte gewesen sein, dass mittlerweile genug andere wirksame Arzneimittel gegen TBC auf dem Markt waren. Mittel wie Streptomycin oder Isoniazid und schließlich Ethambutol ab den 1960er Jahren, die man synthetisch herstellen konnte und die vermutlich der Pharmaindustrie auch wesentlich höhere Gewinnmargen bescherten. Beim Hopfen hatte man wohl einfach zu lange gewartet. Auch das bierige Edwil verschwand auf Nimmerwiedersehen in der Versenkung. Die Zeit schien abgelaufen.

Aufgeschnittene Hopfendolde

Eine gewisse Ähnlichkeit zwischen den Lupulindrüsen des Hopfens und den typischen Granulomen der Tuberkulose ist in der Tat vorhanden. Eine Tradition der Tuberkulose-bekämpfung durch Hopfen lässt sich daraus aber noch lange nicht ableiten. Foto: Paul Ehrenreich/Deutsches Hopfenmuseum Wolnzach

Erst einmal. 2021 litten weltweit 10,6 Millionen Menschen an der Tuberkulose, von denen 1,6 Millionen starben. Damit liegt sie an 2. Stelle der tödlichsten Infektionskrankheiten, nur mehr übertroffen von Covid-19. Hauptverbreitungsgebiete sind Indien, China, Zentralafrika, Russland sowie Südostasien. In Europa gilt sie als besiegt. Im Moment. Denn immer mehr der tödlichen Verläufe rühren von der multiresistenten Variante MDR-TB (Multidrug-resistant TB) her, bei der die bisherigen Heilmittel alleine nicht mehr anschlagen. Auf der Suche nach Alternativen entdeckt man nun auch wieder den Hopfen.

Forscherteams aus China und dem Iran kommen zu ähnlichen Ergebnissen wie ihre amerikanischen und deutschen Kollegen rund 70 Jahre zuvor. Erstmals wird auch das Potential des Hopfeninhaltsstoffes Xanthohumol bei der Tuberkulosebekämpfung näher beleuchtet. Eine Forschergruppe aus Wales untersucht die Wirksamkeit von 50 verschiedenen Hopfensorten gegen Mycobacterium bovis, den Erreger der Rindertuberkulose, die auch auf den Menschen übertragen werden kann. Mehr als das Stadium der in-vitro-Analyse wird bisher jedoch immer noch nicht erreicht.

Es bleibt abzuwarten, ob der Hopfen nun endlich auch seinen Weg als Therapeutikum gegen eine der schlimmsten Infektionskrankheiten finden wird.

 

Literatur:

  • Lang, Rudolf (1949): Hefen, die Schöpfer bakterizider Wirkstoffe nach Penicilinart gegen verschiedene Krankheitserreger. Meiningen
  • Lewis, J. C. & Alderton, Gordon & Carson, J. F. & Reynolds, D. M. & Maclay, W. D. (1949): Lupulon and Humulon – Antibiotic Constituents of Hops. From the Western Regional Research Laboratory, Albany, Calif.. In: The Journal of clinical investigation, Jg. 28/1949, H.5, 1. S.918
  • Chin, Y. C. & Anderson, H. H. & Alderton, G. & Lewis, J. C. (1949): Antituberculous Activity and Toxicity of Lupulon for the Mouse. In: Proceedings of the Society for Experimental Biology and Medicine, Jg. 1949, H.70. S.158-162
  • Schmid, Hermann (1951): Statistische Untersuchungen über das Vorkommen der Tuberkulose im Braugewerbe und Vitro-Versuche über die tuberkulosestatische Wirkung einiger Hopfenbitterstoffe. München
  • Erdmann, Walter F. (1951): Lupulon und Humulon, ihre antbakterielle Wirksamkeit und Anwendung bei tuberkulösen Infektionen. In: Die Pharmazie, Jg. 6/1951. S.450
  • Serkani, J. Esmi & Isfahani, B. Nasr & Safaei, H. Gh. & Kasra Kermanshahi, R. & Asghari, Gh. (2012): Evaluation of the effect of Humulus lupulus alcoholic extract on rifampin-sensitive and resistant isolates of Mycobacterium tuberculosis. In: Research in Pharmaceutical Sciences, Jg. 2012, H.November, 7(4). S.235-242. Behnam Rafiee & Davoud Sadeghi & Sepideh Ghani & Nader Mosavari & Shojaat Dashtipour & Seyed Amir Hosseini (2017): Antibacterial Effect of Aqueous and Ethanolic Extracts of Humulus Lupulus on Mycobacterium tuberculosis. In: Qom University of Medical Sciences journal, Jg. 2017, H.11 (8). S.22-28
  • Hai Lou & Fen Zhang & Liqin Lu & Yingying Ding & Xiaohui Hao (2020): Xanthohumol from Humulus lupulus L. potentiates the killing of Mycobacterium tuberculosis and mitigates liver toxicity by the combination of isoniazid in mouse tuberculosis models. In: RSC Advances, Jg. 2020, H.10. S.13223-13231
  • Blaxland, James & Thomas, Richard & Baillie, Leslie (2022): The Antibacterial Effect of Humulus lupulus (Hops) against Mycobacterium bovis BCG. A Promising Alternative in the Fight against Bovine Tuberculosis?. In: Beverages, Jg. 2022, H.8, 4