Betriebselände der Firma Allaeys in Poperinge
Bitterstoff, Blog | Montag 18.09.2023

Europa und der Fortschritt

Die belgische Firma Allaeys baute die ersten Pflückmaschinen in Kompaktform

Von Christoph Pinzl

Nicht einmal 30 Jahre alt waren die Brüder Pierre und André Allaeys-Dupont als sie Anfang der 1950er Jahre von ihrem Vater die Maschinenbaufirma „Allaeys Constructie Werkhuis“ übernahmen. Im flandrischen Poperinge, nicht weit von der französischen Grenze entfernt, hatte Hector Allaeys schon vor dem Krieg Hopfenspritzgeräte und Hopfentrockenanlagen gebaut. Anders als diese fanden die Hopfenpflückmaschinen aus dem Hause Allaeys ab 1957 auch ihren Weg nach Deutschland. Der Landmaschinenhändler Jakob Deml aus Attenkirchen in der Hallertau hatte von den belgischen Konstrukteuren gehört, reiste nach Poperinge und sicherte sich die erste Maschine mit dem Namen „Standard“ für den Betrieb in Deutschland. Sie sollte bei Josef Maier-Krafft in Au i.d. Hallertau ihren Dienst verrichten, der nicht nur Hopfenbauer war, sondern auch Schriftsteller und insofern ein Mann für ungewöhnliche Ansätze. Ähnlich kreativ warb Jakob Deml um weitere Kundschaft für die nicht ganz billige Maschine. Auch er hatte nämlich einen Zweitberuf: Hopfenhändler. Interessierten Pflanzern bot er die „Standard“ in Gegenleistung zu Hopfenlieferverträgen. Das Hopfen-Goldrausch-Jahr 1957 mit Phantasie-Höchstpreisen von bis zu 2000 Mark pro Zentner Hopfen stand als Argumentationshilfe zur Seite.

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Allaeys-Standard-Maschinen treffen 1960 per Eisenbahn in Wolnzach ein.

Im Unterschied zu den englischen Bruff- und Rotobank-Maschinen kamen Allaeys-Modelle komplett per Eisenbahn aus Belgien angefahren, wenn auch in Einzelteile zerlegt. Das nötige Know-How war mit an Bord. Allaeys schickte nämlich seine hauseigenen Monteure gleich mit. Diese übernahmen vor Ort zusammen mit den Helfern der deutschen Vertragshändler Aufbau und Wartung, allen voran Generalvertreter Karl Wallner aus Wolnzach. Die Männer hatten in den Anfangsjahren Enormes zu leisten. Ein Hopfenbauer, der sich zähneknirschend für teures Geld eine solche Maschine angeschafft hatte, forderte namlich, dass sie nun pünktlich zur Ernte auch zuverlässig lief. Wenn nicht, musste Abhilfe her und zwar sofort. Andererseits standen den Allaeys-Brüdern nur die wenigen Erntewochen im Jahr zum Ausprobieren zur Verfügung. Dementsprechend klappte anfangs ganz und gar nicht alles nach Plan. Nachtschichten für die Monteure waren der Normalzustand. Bei Tagesanbruch sollten die Maschinen schließlich wieder brav ihren Dienst verrichteten. In Wolnzach entwickelte sich aus dem deutsch-belgischen Kontakt eine intensive Partnerschaft mit der Stadt Poperinge, die bis heute Bestand hat. Pflückmaschinen ernteten also auch ungeahnte Früchte.

Konstruktionsplan der Reinigung für den Typ Standard

Wie alle Modelle der Anfangsjahre kämpfte auch die „Standard“ damit, dass sie mit ihren Dimensionen eigentlich gerade kein Standard war. Mit ihrem Preis von rund 30.000 Mark, ihren rund 15 Meter Länge samt Reiniger und einem Personalbedarf von 20 Mann oder Frau fiel sie zwar etwas kleiner aus als die riesigen Bruff-Maschinen aus England. Letztlich hatte man sie aber am Markt der vielen kleinen und mittleren bayerischen vorbeientwickelt.

Kein Wunder, dass sich das Allaeys-Nachfolgemodell „Junior“, das 1960 auf den deutschen Markt kam, sofort hervorragend verkaufte. Zum ersten Mal waren hier Pflücker und Reiniger in einer einzigen Einheit integriert –  die erste Kompaktmaschine, die sich am Markt durchsetzte.

Im Herbst 1960 präsentierten die Poperinger dann den endgültigen Quantensprung in Sachen Pflückmaschine. Das Modell „Europa“ gab schon im Namen die Richtung vor. In der belgischen und zugleich europäischen Hauptstadt Brüssel hatte man 1958 mit dem Atomium ein Wahrzeichen für ein Zeitalter gebaut, das sich ganz der Modernisierung, der Rationalität und der Technik verschrieben hatte. Selbstbewusst hatte die Firma Allaeys schon damals mit einem „Standard“-Kleinmodell bei der Weltausstellung in Brüssel teilgenommen. Dieses Modell kann noch heute im Poperinger Hopfenmuseum bestaunt werden. Mit der „Europa“ sollte nun endlich auch bei den Pflückmaschinen Schluss sein mit den alten Zöpfen.

Eine Europa 1963 in der Allaeys-Konstruktionshalle in Poperinge

Ihre wesentlichen Neuerungen waren vor allem der lange Rebenauszugsarm mit automatischem Rebenauswurf und der markante schräge Rebendurchzug. Das und eine Vielzahl weiterer Verbesserungen halfen, bei den Pflückmaschinen endlich das umzusetzen, um was es eigentlich ging: das Personal zu reduzieren. Standen bei einer Bruff noch locker bis zu 50 Helfer/innen um die Maschine, waren nun gerade einmal fünf Personen nötig, um die Maschine zu bedienen, mehr nicht. Als sich herausstellte, dass die „Europa“ die vom Werk angegebenen Leistungen mit bis zu 400 Reben pro Stunde sogar noch überbot, drosselte man bei den ersten Vorführungen kurzerhand die Geschwindigkeit der Maschine, um die anvisierte mittelbäuerlichen Kundschaft nicht zu verschrecken. Das nachfolgende Modell mit dem erneut sprechenden Namen „Compact“ entwickelte sich dann zum Allaeys-Erfolgsmodell schlechthin (mehr hierzu). Generalvertreter Karl Wallner erzählte rückblickend, dass er sich damals kaum auf das Wolnzacher Volksfest traute, um nicht von kaufwilligen Hopfenbauern bestürmt zu werden.

Doch die Poperinger verließ allmählich das Glück. Mit der Firma Wolf im Hallertauer Städtchen Geisenfeld stand ihnen mittlerweile ein Konkurrent gegenüber, dem man auf Dauer nicht gewachsen war. Nach Abflauen des Pflückmaschinengeschäftes stiegen die Brüder Allaeys deshalb in den 1980er Jahren auf den Bau von Autowaschanlagen um. Aber auch hier war trotz guter Technik kein dauerhafter Erfolg beschert. Anfang der 1990er Jahre war es vorbei mit dem traditionsreichen Unternehmen.

Das Pflückmaschinen-Modell im Poperinger Hopfenmuseum

Bei einem letzten Besuch 2002 in Poperinge – sein Bruder André war zu dieser Zeit bereits verstorben – empfingen uns Pierre Allaeys und seine Familie mit großer Herzlichkeit. Als Reminiszenz an alte Zeiten leuchtete noch immer die Metall-Haustür des modern gebauten 1960er-Jahre-Wohnhauses im klassischen Allaeys-Orange. Was sich noch erhalten hatte an Material aus der Zeit der Pflückmaschinen durften wir mitnehmen. Darunter einige der Pläne, die Pierre einst von seinen Maschinen mit der Hand gezeichnet hatte, ganz der Ingenieur alter Schule. Manche dieser Pläne waren über 3 Meter lang. Man kann sie heute im Deutschen Hopfenmuseum in einer Vitrine bewundern. Demnächst wird auch eine der letzten Allaeys-Maschinen, die es noch gibt, im neugebauten Schaudepot zu bestaunen sein. Funktionstüchtig versteht sich.